Dokumentation über die chinesische Hochschulaufnahmeprüfung „Gaokao“

<Sven Hänke>
Die landesweiten chinesischen Hochschulaufnahme-Prüfungen (Gaokao, 高考) sind gerade vorüber und die Schüler warten auf die Ergebnisse, die ihren weiteren Lebensweg maßgeblich bestimmen werden. Wer sich einen Eindruck davon verschaffen möchte, unter welchem Druck die Schüler dort um die begehrten Plätze an den guten Universitäten kämpfen und wer verstehen möchte, warum Chinesen nur milde lächeln, wenn deutsche Altersgenossen über ihren Abiturstress klagen, sehe sich doch die unten eingebette 94-minütige Dokumentation (Titel: 高三) über die Nr.1-Highschool in Wuping, Fujian an. Die Doku wurde allein bei Youku.com fast 3 Millionen Mal angesehen und gewann beim Honkong International Film Festival 2006 den ersten Preis in der Kategorie Dokumentation. Sie hat sogar Untertitel. Viel Spaß, auch wenn das etwas unangemessen klingt, bei diesem Thema! (via China Whisper)


A Bite of China – Anspruch und Wirklichkeit

<von Sven Hänke>
Da meint man jahrelang, die chinesische Regierung wird ihre Softpower-Milliarden vollkommen umsonst ausgeben und all die folkloristischen und belanglosen Publikationen und Veranstaltungen bleiben mittelfristig ähnlich erfolgreich wie die Werbeplakate der CDU in Berlin-Kreuzberg und schwupps überrascht einen das Propaganda-Ministerium mit einem Coup. Die Dokumentation „A Bite of China“ ist schon jetzt weltweit ein Publikumserfolg und weil dem so ist, zeigen wir hier auf Doppelpod den ersten Teil der optisch wirklich gelungenen Fernsehproduktion über die Wunder der chinesischen Kochkunst (leider ohne Untertitel). Ich persönlich schätze die chinesische Küche und Ernährungsphilosophie sehr, aber weil ich einen Großteil der chinesischen Nahrungsmittelproduzenten für fast noch geldgieriger und moralisch verkommener halte als deutsche Hegdefonds-Manager, ist dem Bilderrausch für die Geschmacksnerven ein weiterer Film aus dem Hause CCTV1 vorangestellt: ein Nachrichtenbeitrag über den Abfluss-Öl Skandal (地沟油). Skrupellose Lebensmittelhändler hatten über Jahre hinweg Öl, das unter anderem aus Speiseresten und Tierkadavern hergestellt wurde, als Speiseöl verkauft (das ehemalige Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hat darüber übrigens mal wieder nicht berichtet). Genießen Sie mit allen Sinnen!

 



Wir alle sind nur die Kopie eines längst gelöschten Originals

Man könnte mir vorwerfen, dass der Untertitel „Gebrauchsanweisung für den erfolgreichen Kulturschock“ nicht besonders originell ist. Man könnte sogar sagen, dass er geklaut ist. Das ist etwas drastisch formuliert, aber vollkommen korrekt. Es ist geklaut und das ist auch gut so. Denn ich berufe damit auf die chinesische Shanzhai-Kultur, in der Nachahmung zur Kunstform wird und deren Protagonisten die Konzepte „Originalität“ und „Echtheit“ für belangloses Beiwerk ihrer Arbeit halten. Shanzhai, das ist auch der Gedanke, dass sich geistiges Eigentum so wenig einzäunen lässt wie wilde Pferde. Aber das ist nicht der einzige Grund für mein hier vorgetragenes Loblied auf die Kopie. Wenn man wissen möchte, welche Auswirkungen der Originalitätszwang und die Tabuisierung der Kopie zum Beispiel auf die westliche Pop-Kultur hat, dann empfehle ich einen Blick in den Kleiderschrank von Lady Gaga. Da wird dann vielleicht mancher ausrufen: „Oh, ein Fleischkleid, das ist ja mal was anderes. Sehr originell und kreativ.“ Und falsch ist das nicht, denn ein Fleischkleid gab er vor Lady Gaga noch nicht.

 

Innovation und Kreativität stehen in der westlichen Kultur derzeit im Allgemeinen sehr hoch im Kurs. Die Kopie wird hingegen verachtet. Sie erscheint uns wertlos. Aber ist nicht die Kopie, die Nachahmung des Guten und des Erfolgreichen der Kern einer jeden kulturellen Veränderung? Picasso sagte: „Gute Künstler kopieren, großartige Künstler klauen.“ Und Goethe. Als der seinen Faust schrieb, da war diese Geschichte über den zum Okkulten neigenden Wissenschaftler längst ein alter Hut. Ein sogenanntes Volksbuch von Johann Spies war schon im sechzehnten Jahrhundert ein großer Erfolg. Dieses Buch war so beliebt, dass es davon eine ganze Reihe von nicht-autorisierten Nachdrucke gab. Heute würde man wohl Raubkopien dazu sagen.

Und Goethe selbst, war der jetzt ein Raubkopierer? Im Grunde schon. Denn Goethes Faust war nicht einmal das erste Theaterstück zu diesem Stoff. Das schrieb der Engländer Christopher Marlowe etwas mehr als zweihundert Jahre zuvor. Goethe, der Inbegriff des deutschen Ur-Genies, sozusagen der Ur-Urheber, war noch nicht einmal der Erste, dem Ganzen im Kontext der Aufklärung eine neue Bedeutung verlieh. Das was Lessing.

Goethes Faust ist also in erster Linie eine Adaption, eine Kopie, ein Mash-Up. Ein weiteres Beispiel ist der Buchdruck. Die Rechte an dem Gerät, das maschinelles Kopieren von Texten überhaupt erst ermöglicht hat, würden heute vielleicht vor einem Patent-Gericht verhandelt werden. Denn als damals Johannes Gutenberg das Drucksystem entwickelte, waren bereits über vierhundert Jahre vergangen, seit der Chinese Bi Sheng bewegliche Letter erfand. Und so ist es bei den meisten genialen Schöpfungen der Menschheitsgeschichte. Sie sind Adaptionen, Kopien, Mash-Ups – bis heute. Das erste soziale Netzwerk der Welt hieß nicht Facebook. Es trug den schönen Namen 5460 und wurde in China programmiert. Und auch die erste Video-Plattform war nicht YouTube.

Seit ich meine Ansichten über China, Deutschland und die Welt, zu Papier, oder vielleicht besser gesagt, zu Pixel bringe, mache ich mir auch Gedanken darüber, in welcher Form. Ich könnte ja vielleicht ein Buch schreiben, um damit mein Taschengeld ein wenig aufzubessern. Ein wenig gegrillter Hund, Konkubinen, kleine Kaiser und Panikmache vor der kommunistischen Weltherrschaft – und fertig ist der deutsche China-Bestseller.

Aber gedruckte Bücher, diese Lieblingsdekorationen deutscher Wohnzimmer, haben einen großen Nachteil. Das Kopieren ist aufwändig und teuer. Und noch etwas ist mir dann eingefallen: Warum sollte ich für Geld schreiben? Ich habe doch so viel China-Kompetenz und da gibt es derzeit viel bessere Möglichkeiten, Geld zu verdienen, als mit dem Schreiben von Büchern: Ich könnte zu Beispiel mit Plastikschrott handeln. Oder ich könnte Autofirmen helfen, noch mehr Fabriken zu bauen, in denen benzinfressende Luxuskarossen für die Zweitfrauen von korrupten Beamte produziert werden und die Arbeiter zum Hungerlohn für die Yachten der Aktionäre schuften. Es gibt es doch noch so viel zu tun für China-Kenneren? Warum sollte man da überhaupt jemand Bücher schreiben? Das lohnt sich doch kaum noch.

Es wäre aber schon schön, wenn das hier jemand liest oder hört. Ich geb mir ja Mühe. Ich wollte daher zunächst wissen, welche Aspekte die Deutschen beim Thema China besonders interessieren. Und ich hätte fast McKinsey angeheuert, das Potenzial zu evaluieren. Das war mir aber doch zu teuer. Deswegen habe ich dann einfach bei Amazon nachgesehen, welche Bücher besonders oft gekauft werden.

Relativ schnell hat sich herausgestellt, dass die Deutschen besonders gerne Ratgeber und „Gebrauchsanweisungen“ kaufen – für die schnelle Orientierung im richtigen Umgang mit der neuen Supermacht. Außerdem ist mir aufgefallen, dass die Worte „Schock“, und „erfolgreich“ bei fast jedem zweiten Buch auftauchen.

Das, was die Deutschen über China wissen wollen, findet also hauptsächlich im semantischen Feld dieser drei Worte statt. Zunächst einmal ist da der Schock: „Hilfe, die Chinesen erobern den Planeten. Und die sind ja so anders. Ahh. Hilfe.“ Dann kauft man sich ein Buch von einem Chinakenneren, einen Ratgeber, eine Gebrauchsanweisung, in der die Dinge stehen, die man wissen muss, um mit dem Problem angemessen umzugehen. Und am Ende steht dann der „Erfolg“ und alles ist wieder gut.

Diese Methode erinnert an das Buch „Den Himmel gibt’s echt“. Das ist ein Buch über die Nahtoderfahrung eines Vierjährigen und in einer Rezension hieß es, es könne „Eltern und vor allem Kindern helfen, besser mit dem schwierigen Thema Tod umzugehen.“ Das klingt, als wäre der Tod therapierbar, oder als ob er mit der richtigen Gebrauchsanleitung zum Kinderspiel wird. So in der Richtung: „Sterben für Dummys – Alles was sie wissen müssen“. Und so ist es offenbar auch beim Thema China. Viele Leute glauben, dass China sich schon irgendwie zurecht-erklären und in ein eindimensionales und manchmal auch dekadentes Weltbild integrieren lässt. Einige Menschen haben die Hoffnung, dass die Globalisierung nach dem McDonalds-Prinzip funktioniert und für uns im Westen im Grunde alles beim Alten bleibt. So wird es aber wahrscheinlich nicht kommen. Denn die Chinesen kopieren vor allem unsere intellektuelle Open-Source-Software und viele dieser Kopien übertreffen schon heute das Original.

Wenn in China ein Geschäft eröffnet wird und erfolgreich ist, dann dauert es meist nur wenige Monate, bis direkt daneben ein Laden aufmacht, der den Erfolg bis ins Detail kopiert, und nicht nur einer. Ich kenne in Peking ganze Straßen, die bestehen nur noch aus Geschäften für Musikinstrumente oder Schreibutensilien oder sonst etwas. Und keiner stört sich daran.

Im Internet gibt es keine Straßen. Da gibt es Suchmaschinen und da muss man sich seine Nachbarschaft nach Wortverwandtschaften aussuchen, um gefunden zu werden. Wenn ich mich also begrifflich mit einigen fremden Federn schmücke, dann aber nur mit denen, die ich auf der Straße gefunden habe und denen, die man ohnehin nicht weiter verfolgen kann, als bis in ein digitales Creative-Commons-Universum, in dem wir alle nicht mehr und nicht weniger sind, als die fehlerhafte Kopie eines längst gelöschten Originals.

Meine acht Glücks-Tipps zum Chinesisch-Lernen

Wir sollten der Wahrheit ins Auge blicken. Uns Deutschen fehlen sprachkundige Vermittler. Chinas wirtschaftlicher Aufschwung wird zwar begleitet von einer medialen Aufmerksamkeit sondergleichen. Die deutsche Industrie befindet sich in weiten Teilen gar in einem nahezu entrückten Zustand, einem wahren China-Rausch. Sprachlich und kulturell jedoch hat sich bisher kaum etwas bewegt. Die Chinesen sind heute mit Abstand die größte Gruppe ausländischer Studierender in Deutschland. Die Zahl der deutschen Studenten, die in China eine Universität besuchen, steigt zwar, aber die Aufenthalte sind meist relativ kurz und die Studenten sind so gut wie nie ins reguläre Studium integriert.

 

Aber nicht nur die Studentenzahlen sprechen eine eindeutige Sprache der Sprachlosigkeit. Das Sprachdefizit ist vielerorts spürbar. Viele Journalisten, die sich professionell mit China beschäftigen, können keine chinesischsprachige Tageszeitung lesen, geschweige denn einer Internetdiskussion folgen. Auch der weitaus größte Teil der Entsandten, die bei Siemens, VW oder der deutschen Botschaft arbeiten, kommt in fünf und mehr Jahren über das Anfängerniveau nicht hinaus. Und auch nicht alle Sinologen sind nach dem Studium in der Lage, sich in China auch zu komplexeren Themen verständlich zu äußern.

Natürlich hat das vielfältige Gründe. Man hat viel zu lange an einer Orchideen-Sinologie festgehalten hat, die Langzeichen, Tang-Gedichte und Konfuzius-Interpretationen wichtiger fand als modernen, kommunikativen Sprachunterricht. „Chinesisch als Frendsprache“ ist eine Disziplin, die noch immer in den Kinderschuhen steckt – in Deutschland und auch in China selbst. China ist im Bereich Didaktik in weiten Teilen ein Entwicklungsland und nur langsam werden moderne linguistische Erkenntnisse für den Sprachunterricht nutzbar gemacht. Wer einmal einen Sprachkurs an einer chinesischen Universität besucht hat, wird mir wahrscheinlich zustimmen, dass die didaktische Methodik oft dem Lateinunterricht in den 50er-Jahren ähnelt. Ein weiteres großes Problem sind kulturelle Barrieren, die die Integration in die chinesische Gesellschaft und den persönlichen Kontakt mit Chinesen erschweren können. Der wichtigste Grund liegt jedoch auf der Hand: Chinesisch ist verdammt schwer.

Chinesisch zu lernen kostet eine Menge Zeit und man muss bereit sein, einige Mühen auf sich zu nehmen. Sprachlernsysteme wie „Rosetta Stone“ mögen suggerieren, dass man jede Sprache auf ganz natürliche Weise lernen kann, aber das Zeichen-Pauken wird auch Frau Stone einem Lernenden nicht abnehmen können. Sicherlich sollte man mit Spaß bei der Sache sein, aber die typischen Schwierigkeiten bei der Beherrschung von Zeichen und Tönen überwindet man unter anderem durch relativ passives, tausendfaches Wiederholen. Die Anwendungsbedingungen dieser Zeichen hingegen erschließen sich effizient oft erst in konkreten kommunkiativen Situationen.

Ich habe vor einiger Zeit den neu-konzipierten HSK-Test der Stufe 5 mit 249 von 300 Punkten (Hörverständnis 99 von 100) bestanden. Das macht mich sicher noch nicht zu einem zweiten Da Shan, aber es ist immerhin die zweithöchste Stufe dieses landesweiten, staatlichen Tests, der ansatzweise mit dem amerikanischen TOEFL und dem deutschen TestDaf vergleichbar ist. Weil acht bekanntlich die chinesische Glückszahl ist, hier nun meine acht hoffentlich glücks- und erfolgsbringenden Tipps für den Lernerfolg:

1. Tipp
Beschäftigen Sie sich von Anfang an intensiv mit den Zeichen. Ich halte den Weg, den einige renommierte deutsche Lehrinstitute gehen, Chinesisch anfangs auf der Grundlage von Pinyin zu lernen, für eine Abkürzung, die sehr schnell in einer Sackgasse enden kann. Chinesisch beruht auf Zeichen, Chinesen denken in Zeichen und Pinyin ist nur ein Hilfsmittel. Wenn Sie Chinesisch nicht nur für den Urlaubsgebrauch lernen wollen, müssen Sie die Zeichen lernen. Je früher, desto besser.

2. Tipp
Versuchen Sie die Grundlagen der Zusammensetzung der Zeichen zu verstehen. Machen Sie sich damit vertraut, wie diese komischen Dinger funktionieren. Lernen Sie die Radikale und die Strichreihenfolge. Sehr gute geeignet für Anfäger ist dieses Lehrwerk. Der grundlegende Zeichenaufbau wird sehr gut erklärt und zudem gehört die phonetische Einführung zu dem Besten, was mir bisher begegnet ist: „Chinesisch multimedial. Der CD-ROM-Sprachkurs für Einsteiger

3. Tipp
Schreiben Sie die Zeichen. Ganze Texte aber vor allem auch einzelne Zeichen. Immer wieder. Durch die Bewegungen der Hand verinnerlichen Sie die Konstruktion des Zeichens. Achten Sie mal darauf, wie oft Chinesen in der Luft oder auf dem Tisch mit dem Finger Zeichen malen, um sich diese zu vergegenwärtigen. Auch Chinesen lernen die Zeichen vor allem durch Wiederholung. Das Ergebnis vielfach wiederholten Schreibens ist, dass nicht nur der visuelle Eindruck, sondern auch die motorischen Abläufe der Hand gespeichert werden und das Zeichen besser memoriert wird.

4. Tipp
Nutzen Sie moderne Technik. Wenn Sie die Komposition der Zeichen und die Strichreihenfolge verstanden haben, besorgen Sie sich ein Handy mit Strich- oder Handschriften-Eingabe. Früher war es durch die komplizierte Methodik, ein Zeichen in einem herkömmlichen Wörterbuch nachzuschlagen, unglaublich zeitaufwändig, ein unbekanntes Zeichen zu identifizieren und zu übersetzen. Heute machen einem IPhone und Konsorten das Leben deutlich leichter. Mein persönlicher Geheimtipp: Lernen Sie Wubihua. Mit dieser selbst unter Chinesen eher ungebräuchliche Eingabemethode finde ich jedes noch so komplizierte Zeichen in weniger als zehn Sekunden. Ein weiteres nahezu unverzichtbares Tool ist Wenlin. Diese Software erlaubt es, ganze Texte dort hineinzukopieren und die Übersetzung der Zeichen und Zeichenkombinationen ins Englische nur durch das Herüberfahren mit der Maus anzuzeigen. Über ähnliche Funktionen verfügen zwar inzwischen auch einige Smartphone-Apps, aber Wenlin ist in Bezug auf Umfang und Genauigkeit des Wortschatzes unschlagbar. Selbst Chinesen staunen darüber, wie viele seltene Chengyu (idiomatische 4-Wort-Redewendungen) Wenlin erkennt und korrekt übersetzt. Faszinierend ist allerdings auch die Chinesisch-App von Pleco. Das geht schon ein wenig in Richtung „Raumschiff Enterprise“

5. Tipp
Machen Sie viele Hörübungen. Hörverständnis ist der entscheidende Schlüssel zur Sprache. Nutzen Sie das Internet und die vielfältigen Möglichkeiten, sich durch natürlichsprachige Dialoge mit den fremden Klängen vertraut zu machen. Auf Deutsch gibt es solche Angebote meines Wissens bisher nicht, aber im englischsprachigen Bereich wird man schnell fündig. Chinesepod.com ist der ungeschlagene Champion. Leider sind die meisten Dialoge seit einigen Jahren kostenpflichtig, aber vielleicht finden Sie ja jemanden, der ältere Folgen heruntergeladen hat, als sie noch kostenlos waren. Es gibt inzwischen weit über tausend Chinesepod-Dialoge für alle Lernerstufen. Mit Popupchinese.com hat sich ein ehemaliges Mitglied von Chinesepod selbsständig gemacht und füllt die Lücke, die Chinesepod auf dem No-Budget-Markt hinterlassen hat. Ich persönlich ziehe das Original mit der zauberhaften Jenny Zhu weiterhin vor. Ah, diese Stimme!

6. Tipp
Sprechen Sie. Sprechen Sie die Dialoge nach. Werden Sie ein Papagei! Suchen Sie sich einen chinesischen Tandempartner und quatschen Sie drauf los, was das Zeug hält. Aus Fehlern wird man klug und die lustigsten und peinlichsten Pannen vergisst man nie. Auch ich habe anfangs geglaubt, dass die Töne nicht immer so wichtig sind. Heute weiß ich, dass gerade die richtigen Töne für das Verständnis grundlegend sind. Üben Sie daher die Töne. Und gerade wenn man richtig daneben liegt, ist der Lerneffekt am größten. Ich werde wohl nie mehr vergessen, dass man das chinesische Wort für Hase im vierten Ton ausspricht. Gleich in der ersten Woche wollte ich mein Gegenüber informieren, welchem chinesischen Tierkreiszeichen ich angehöre. Wegen meiner falschen Töne sagte ich: „Ich bin ein Glatzkopf“. Das Lachen klingt noch heute in meinen Ohren.

Wir amüsieren uns uns oft über das urkomische „Chinglish“ oder das „Deunesisch“ der Chinesen. Aber diese Lernersprache ist der Weg zum Erfolg. Es mag einem erfolgreichen und angesehenen Manager nicht gefallen, plötzlich zu klingen, wie ein Dreijähriger, der sich mit seinem Freund in der Sandkiste unterhält. Aber es ist unvermeidlich und der einzige Weg.

7. Tipp
Machen Sie das, was Ihnen Spaß macht. Jeder hat andere Interessen. Finden Sie Ihren eigenen Weg zur Sprache. Jemand, der gern Popmusik hört, sollte sich mit den Texten der chinesischen Bands beschäftigen. Filme, Kalligraphie, Tee, chinesische Neujahrsbilder, egal was es ist – versuchen Sie ihre Interessen mit der Sprache zu kombinieren. Ich selbst lese seit ganz gern Comics. Seit einiger Zeit lese ich Tim & Struppi allerdings nur noch auf Chinesisch.

8. Tipp
An einem längeren China-Aufenthalt oder einem strukturierten Sprachkurs führt eigentlich kaum ein Weg vorbei. Wer es sich leisten kann, sollte Privatstunden nehmen, aber auch im Klassenverband macht man schneller Fortschritte als im stillen Kämmerlein. In China gibt es viele Sprachschulen, die guten Gruppen-Unterricht teilweise schon für 50 RMB in der Stunde anbieten. Es muss also nicht einmal teuer sein.

Chen Guangcheng richtet sich per Youtube an Wen Jiabao

„I am extremely anxious, and I require netizens’ more attention on my family’s security.“

Der blinde Rechtsanwalt Chen Guangcheng, der sich als sogenannter „Barfuß-Anwalt“ unter anderem für die Rechte der Behinderten, für Bürgerbegehren und gegen erzwungene Abtreibungen eingesetzt hatte, ist laut Medienangaben aus dem polizeilichen Hausarrest geflohen.

Zuvor war Chen Guangcheng zu einer vierjährigen Haftstrafe wegen „Mutwilliger Zerstörung von Eigentum und Verkehrsbehinderung“ verurteilt worden, die er von 2006 bis 2010 absaß.

In einem Video, das zu Youtube hochgeladen wurde, richtet Chen Guangcheng, dessen derzeitiger Aufenthaltsort nicht sicher ist, eine Videobotschaft direkt an Wen Jiabao. Darin erhebt er schwere Vorwürfe gegen chinesische Behörden. Er legt ausführlich und unter Nennung der Namen der beschuldigten Personen dar, dass er und seine Familie von Behördenmitarbeitern misshandelt wurden. Er fordert eine rechtmäßige Untersuchung der Gewalt gegen ihn und seine Familie, den Schutz seiner Verwandten und die Untersuchung der Rolle der Korruption in diesem Fall. (Quelle: shanghaiist.com)

Das Video in voller Länge

Die von Shanghaiist veröffentlichte ins Englische übersetzte, schriftliche Fassung des Videos:

Dear Premier Wen:

It was so hard for me to escape. All those rumors online and the accusations against Lin Yi’s violence on me, now I am here to prove that everything was true. And the fact can be only more terrible than what’s circulating online.

Premier Wen, I now formally make the following 3 proposals

1. SEVERELY PUNISH CRIMINALS IN ACCORDANCE WITH LAW:

Firstly, on my issue, you should inquire the matter yourself and dispatch investigative groups for thorough investigation and truth. Some 70 to 80 officials, none of whom were wearing uniforms, beat my family without any legal approvals and forbid my family from seeking medical assistance despite injuries.

You should initiate a thorough investigation on who issued the order and deal with it according to law to law since it was so inhumane and tainted our Party’s image. They invaded our home. More than a dozen men covered my wife’s face with quilt and beat her for several hours. To me, they did the same.

Zhang Jian… we know a lot of people from in the county police, He Yong, Zhang Shengdong, like Li Xianli, who beat my wife serveral times, Li Xianqiang, Gao Xinjian and a man surnamed Xue should be taken seriously. As the one who experienced this, I make the following accusations on these people:

They intruded my house and beat me. During that period, for example, Zhang Jian, the deputy county party chief in charge of law enforcement, boasted that they could defy the law and regulations and could do anything without legal procedures.

They robbed my house and beat my family multiple times. Li Xianli, leading some 20 men, imposed illegal dention on me for a long time. He was the leader of the 1st team [which was in charge of my detention], and beat my wife. Once he chased my wife, pulled her off the cart and beat her. He also beat my mother. He was extremely vicious.

Li Xianqiang, he knocked my wife down to the ground on 18th last year. He is said to be the a clerck or chief of our county’s judicial office. He hurt my wife’s left arm severly.

At the gate of my village, the one who beat Bale, in my knowlege was Zhang Shenhe, a government clerk, or the „army uniform“ called by netizens. He hurled stones to CNN last Feburary. I am sure with no mistake.

I have also learnt some netizens were beaten by female guards. I did not know any female guard was hired. I now know that most of these female mobs are directors of womens‘ offices of different villages, and some were village chiefs’relatives.

Gao Xinjian and other unknown people, whom I know were from the police, although they didn’t wear any uniforms or have any legal procedures, dared to say „We are not police now, and we are assigned by and work for the Party.“

I don’t believe so. They at most worked for an illegal official within the Party.

According to various information sources, besides 8 officials from township or the village in every team, each team also hire some 20 people at least. There are 3 teams and there are in total 70-80 people.
When last year netizens were paying attention to me, they hired hundres of people at peak. They totally blocked our village. Generally, they regarded our house as centre. Then they deployed a team in our house, and another outside our house. The team outside were deployed on the four corners of my house and nearby roads. Then, they deployed people in all roads from my house until the village border, and in some even situations, they deployed people in the near-by village.

On the bridge of a nearby village, there were 7-8 people sitting. Then these illegal officials abused their power and ordered nearby villages‘ officials to join them. They also hired cars to patrol, reaching as far as 5 kilometers out of my village or even more.

They deployed 7-8 layers of tight guard like this and numbered every road into the village. They numbered as many as 28 so they could better allocate their duties. Such was done to the whole village.
They deployed guards everywhere and regarded anyone as their enemy.
To my knowledge, around 90 to 100 county police, armed police and government officials from the county and township joined the crackdown against me. They have persecuted me illegall this way for several times, and I demand a thorough investigation on him.

2 SAFEGUARD FAMILY MEMBERS’S SAFETY ACCORDING TO LAW

Although I am free, my worries come as well. Because my family, mother, wife and son are still under their hands. They have been persecuted for long and may be suffering even more due to authorities‘ revenge, which may be even more outrageous.

My wife’s orbital bone was also broken, you could feel it. Her waist was beaten at home, with her faces covered by a quilt. Now, you could stil feel obvious protuberance on her 5th lumbar vertebra and her sacrum. Her 10, 12th ribs also had feelable protuberance. Maybe there was a misdiagnose as well. And after the injury, she was inhumanely forbidden to seek medical help.

My old mother was seized by the arm and pushed to the ground by a party member on her birthday. Her faces faced the sky, and her head struck the door of the east room. She burst into tears. She accused that the beaters could beat her simply because they were young. They shamelessly replied, „we are young and we could beat you, but you simply couldn’t defeat us!“

How shameless, how inhumane, and how sinful!

Also my son who is still under 10 years old. He was followed by 3 every day and searched through all over with every page of his book checked. He was forbidden to move at school and, when he returned home, he was confined to the house and never allowed to step out of the gate.
My whole family’s situation has been cut off electricty since last year’s Jul 29, and it was not restored until December 14. Since last February, my mother has been forbidden from buyinig vegetables outside, making my family in extreme difficulty.

I am extremely anxious, and I require netizens‘ more attention on my family’s security. I also require Chinese government to ensure my family’s safety for the sake of the dignity of law and people’s benefits. Otherwise, their safety has no guarantee. If there is anything wrong with my family, I will keep on fighting.

3 PUNISH CORRUPTION ACCORDING TO LAW

Some may ask why this matter cannot be resolved even though it has lasted for several years? Now, I tell you, local decision makers or executive officials never want to resolve this issue.

Decision makers are afraid their crime to be exposed so they don’t want it to be resolved. To executive officials, there is a lot of corruption.
When they were persecuting me last August in a Cultural Revolution style, they said, „you say in the video that we spent over 30 millions? Don’t you know that it was the number in 2008, and now we had spent even more than two 30 millions? You know that? And we don’t include the money used to briber officials in Beijing. If you are capable, keep on saying. “

Some others say, „What tiny amount of money we have! The largest parts have been taken by others already!“

It is a good chance for them to make a wealth. As for as I am concerned, the village spent 100 per person for teams to hire people. However, team leaders hire each person 90 yuan per day and keep the rest 10 to himself.

The daily wage in my place is only around 50 to 60 yuan and working here does not require much labor and is paid better with all three meals free. So men that are hired are very willing to work.

Each team leader hires some 20 people, and they can earn more than 200 a day. What a corruption.

Also, I learnt that in my dention, those who are with my wife plant vegetables in my family’s land and they eat their own vegetables. They grow and sell their vegetables and earn profits. People all know it, but nothing has been done with them.

I learnt that „stability maintainance fund“ could be allocated in millions at one time from the county level to the village and township, and officials say they didn’t get much and that the largest share has been taken by others.

So, clearly, there is serious corruption and abuse of money and power.
I want Premiere Wen to start investigation and punishment. We taxpayers’money shall not be used to abuse others and ruin the image of our Party.

When they are all doing such things that cannot be known by others, everything is in the name of the Party.

Premier Wen, all these illegal activities could not be understood by many. They don’t know whether it is the abusive behavior of local officials or directed by the cetral government.

I think you should give a clear answer to people soon. If we conduct a thorough investigation and tell the truth to the public, the benefits are obvious. But if you continue to neglect this, then what will people think?

Journalismus DIY – High Tech, Low Life

Es soll ja Leute geben, die mit der herkömmlichen Art und Weise, wie Medienerzeugnisse entstehen, nicht immer zufrieden sind. Oft regen sich diese Leute dann darüber auf, dass die meisten Zeitungs- und Fernsehberichte durch staatliche Zensur so stark „harmonisiert“ sind, dass eine kritische Beschäftigung mit den gesellschaftlich relevanten Themen sehr klare Grenzen hat (z.B. in China). Oder aber sie regen sich darüber auf, dass in den Medien unter anderem durch wirtschaftliche Konzentrationsprozesse und Profitstreben viele Themen so stark verkürzt und einseitig dargestellt werden, dass die Aufklärung stets meilenweit hinter der Aufregung zurückbleibt (z.B. SpOnanien/Deutschland).

Immer mehr Menschen überwinden inzwischen ihren Ärger und werden aktiv.  Einige versuchen es mit „Bloggerblumen gegen Medienpanzer“, andere tweeten sich die Finger wund. Noch steckt publizistisches Engagement, das weder staatlich finanziert ist, noch von Auflagenzahlen und Einschaltquoten abhängig ist, in den Kinderschuhen. Aber es gibt immer mehr Ansätze, die journalistische Arbeit wieder zurück zu ihren Wurzeln bringt und deren Akteure sich erfolgreich aus dem Korsett der herkömmlichen Medienlandschaft befreien. Ein Weg, auch größere Projekte wie Filme und Reportagen zu finanzieren, ist das sogenannte „Crowd Funding“. Auf Seiten wie Kickstarter.com stellt man sein Projekt vor und legt dar, wofür man das gesammelte Geld benötigt.

Derzeit läuft bei Kickstarter eine Mikro-Funding-Aktion für eine Dokumentation mit dem Titel „High Tech – Low Life“. Das Projekt, das ich für sehr unterstützenswert halte, sammelt Geld für die Post-Produktions-Kosten einer Dokumentation über „Zola“ und „Tiger“, zwei chinesische Bürgerjournalisten. Die Aktion läuft noch 40 Stunden und derzeit fehlen zusätzliche 2.000 $, damit die notwendige Gesamtsumme von 23.000 $ erreicht ist.

Hier das Video, in dem das Projekt vorgestellt wird:

Chinabildblog: In die Luft gegriffen – Die Berichterstattung über die Brüste von Kate Winslet

Der Frühling ist da und im April geht ja bekanntlich einiges drunter und drüber. Die Hormone spielen verrückt und manch ein chinesischer Mann kann selbst bei dem eher mäßig erotischen Hollywood-Schinken „Titanic“ seine Gefühle nicht mehr im Zaum halten. Denn wenn man einigen Medien glauben darf, wurde die Szene, in der  Leonardo Di Caprio die nackte Kate Winslet malt und man ihren entblößten Oberkörper zu sehen bekommt, von der chinesischen Medienbehörde „China’s State Administration of Radio, Film and Television“ (SARFT) mit dieser Begründung zensiert. So schreibt es zumindest „Welt Online“:

Es sollte mit der Zensur aber nicht nur öffentliches Ärgernis vermieden werden, sondern auch ein anderes mögliches Phänomen. Die chinesischen Sittenwächter hatten befürchtet, die Zuschauer könnten im Kinosaal in die Luft greifen, um die Brüste von Winslet berühren zu wollen. Damit würde der Filmgenuss der anderen Kinogänger beeinträchtigt.

Dummerweise ist diese Begründung reiner Humbug und geht auf einen 5-Tage alten Blogeintrag zurück, der diese satirisch gemeinte Begründung offensichtlich seinerseits aus dem chinesischen Internet übernommen hat. Hier ist der vom Ministry of Tofu verlinkte Kommentar im chinesischen Original.

更有网友调侃:估计广电总局是考虑到3D电影的特殊性,担心播放此片段时观众会伸手去摸,打到前排观众的头,造成纠纷,所以才做出删除的决定.

Einige User lästerten: Ich vermute, die Filmregulierungsbehörde hat sich über die Besonderheiten der 3D-Technik Gedanken gemacht und befürchtet nun, dass die Zuschauer ihre Hände ausstrecken werden und die Köpfe der Leute vor ihnen streicheln werden. Das gibt natürlich Ärger und daher die Entscheidung, die Szene herauszuschneiden.

Ich bin ja schon seit Langem der Meinung, dass viele Journalisten sich nur zu gern aktiv am sozial-medialen „Stille-Post-Spielen“ beteiligen und wie „Welt Online“ meist nicht eimal ihre Quellen angeben. Damit befindet sich das deutsche „Qualitätsblatt“ allerdings in guter Gesellschaft. Die gefälschte Begründung der Zensur-Entscheidung, die meiner bescheidenen Meinung nach wohl eher auf den Fakt zurückzuführen ist, dass in chinesischen Kinos aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage niemals weibliche Oberweiten zu sehen sind, kam äußerst gut bei den Medien an.

Viele Medien schrieben diese Geschichte voneinander ab, ohne sich mit lästiger Recherche-Arbeit aufzuhalten. Hier nur einige exemplarisch:

Im Vergleich zu den US-amerikanischen Seiten sind die deutschen Medien allerdings etwas im Verzug. Dort wurde bereits vor einigen Tagen darüber berichtet. Verwunderlich ist das nicht, denn von denen schreibt man seine China-Nachrichten offensichtlich ab:

Die „Huffington Post“, die auch darüber berichtete, hat den Unfug inzwischen korrigiert und als Satire ausgewiesen. Es wäre zu hoffen, dass man das in den deutschen Medien dann auch noch kopiert. Und vielleicht ändert dann ja auch James Cameron, der Regisseur von „Titanic“, noch seine Meinung.

They were affraid, that Chinese men would actually be reaching out towards the screen. This is true. You can’t make this up.
Sie hatten Angst, dass die chinesischen Männer ihre Hände zum Bildschirm hin ausstrecken würden. Das ist die Wahrheit. Das kann man sich nicht ausdenken.

Doch James. Man kann.

Zensur Spezial: Chinas Versuch, die Online-Gerüchte zu stoppen, ist so schwammig wie der “Krieg gegen den Terror”

Der folgende Text ist eine übersetzte und gekürzte Fassung eines Artikels von Steven Millward, der so freundlich war, einer Veröffentlichung hier auf Doppelpod zuzustimmen (Übersetzung: Sven Hänke). Der Originaltext „China’s Attempt to Banish Online Rumors is as Vague as the War On Terror“ erschien heute auf techinasia.com.

Die “Internet Society of China’ (ISC) hat heute ein Papier mit dem Titel “Vorschläge zur Verhinderung von Internet-Gerüchten” (chinesische Fasung hier) herausgegeben, das durch Aufklärungs- bzw. Erziehungsmaßnahmen und strengere Regularien die Verbreitung von Tratsch und Gerüchten im streng kontrollierten chinesischen Internet verhindern will. Nur neun Tage nachdem die Behörden die beiden größten chinesischen Mirkoblogs bestraft haben, weil diese nicht in der Lage waren, politische Gerüchte zu unterbinden, erinnern diese Aktionen an den berüchtigten “Krieg gegen den Terror”, in dem die Bush-Administration versucht hat, alle Schurken zu bekämpfen, die ihr schaden könnten.

Das Problem ist nur, dass sowohl Gerüchte als auch der Terrorismus abstrakte Konzepte sind, und man schwerlich einen Krieg gegen ein Konzept gewinnen kann. Ebenso wie ein ungerechter Krieg eine neue Generation von Widersachern hervorbringt, die sich zu extremen Handlungen gedrängt fühlen, wird auch diese neue Welle des Durchgreifens, der Regulationen und der Zensur zu noch weniger Transparenz in der chinesischen Politik und im Internet führen und die Netizens zur Produktion von noch mehr Gerüchten nötigen. Chinesische Mikroblogs wie Sina und Tencent haben bereits eine hohe Anzahl an Mitarbeitern, die mit der Selbst-Zensur, der Sperrung von Nutzern und der Löschung von Posts beauftragt sind. Sie löschen Nachrichten mit Schlüsselwörtern, die die “Soziale Stabilität” bedrohen. Die neue Propaganda-Parole “Soziale Stabilität” ist mehrmals in dem ISC-Papier genannt. Hinzu kommt die neue Klarnamen-Richtlinie für die Mikroblogs, die die Gerüchte eindämmen soll. Denn dadurch sollen sich die Nutzer für den Inhalt der Tweets verantwortlich fühlen – oder eingeschüchtert. Aber Sina und Tencent werden überflutet mit Posts und die häufigste Strafe ist derzeit lediglich die Löschung der entsprechenden Nachrichten. Die Nutzer der Mikroblogs wissen das und verbreiten daher weiterhin Gerüchte – auch politische und trotzen damit der finsternen Dunkelheit der fehlenden Transparenz, die sowohl bei der Regierung als auch den On- und Offline-Medien vorherrscht, welche sich entweder der Regulierung unterwerfen, oder sich in die Gefahr begeben, ihre Geschäftsgrundlage zu verlieren.

Und so steht nun also ein “Krieg gegen die Gerüchte” bevor, der sich durch eine weitgehendere Überwachung von normalen Bürgern auszeichnet und jedermann pauschal unter Verdacht gestellt wird. Auch das erinnert an den “Krieg gegen den Terror”, bei dem die USA und Großbritannien ihren Polizeiapparat aufrüsteten. Im Westen setzte man immer fortgeschrittenere Technologien, wie die Gesichtserkennung und den Ganzkörper-Scanner ein. China hingegen hat die Medien bereits weitgehend unter Kontrolle. Man muss diese also eigentlich nur auf die Mikroblogs ausdehnen. Das Problem ist nur, dass es kaum noch etwas gibt, was noch unternommen werden kann. Den jüngsten Gerüchten über einen Staatsstreich wurde mit der bereits erwähnten Kommentarsperre und der Verhaftung von sechs Personen begegnet, die aktiv an der Verbreitung der Gerüchte beteiligt waren. Was soll man denn noch tun? Hunderte einsperren? Eine eingebaute Verzögerung der Verbreitung der Nachrichten in den Mikroblogs implementieren? Fordern, dass die Nutzer ihre Tweets per Fax an das lokale Polizei-Büro schicken? OK, der letzte Vorschlag war nicht ernst gemeint. Aber im Ernst: Wie soll man Fortschritte bei der Bekämpfung von Online-Gerüchten machen, wenn die chinesischen Internetnutzer keinen Lichtstrahl am Horizont sehen in Bezug auf die Authoritäten selbst?

Nachtrag: Der Gott des angebissenen Apfels

Die Nachricht schlug in China ein wie eine Bombe. Gott ist tot. Als Steve Jobs starb, da waren viele Chinesen verwirrt. Sicher, man hatte von seiner Krankheit gehört und man hatte wahrgenommen, dass er bei den Produktpräsentationen von Mal zu Mal gebrechlicher wirkte. Aber tot? Steve Jobs war also wirklich sterblich?

Steve Jobs wurde in China in einem Maße vergöttert, das noch weit über die kultische Verehrung hinausgeht, die man weltweit vor allem in den sogenannten Kreativberufen antrifft. Apple ist mehr als nur eine Firma, die Endgeräte ohne USB-Anschluss baut. Apple ist eine weltumspannende Religion. Ganz sicher. Und wer einmal dieses Leuchten in den Augen eines Grafikdesigners gesehen hat, wenn er sein neues 4S aus der medizinisch-neutral-weißen Verpackung herausnimmt und zum ersten Mal die Finger zärtlich über das Display gleiten lässt, der weiß, dass in Palo Alto keine Computer und Handys entworfen werden, sondern Visionen eines besseren Lebens, die aus den sphärischen Dimensionen der Cloud zu den Menschen gelangen.

Bisher hat sich China durch die Jahrtausende eigentlich gegenüber jeder Form des Glaubens an spirituelle Welten erfolgreich verschlossen. Oder aber die Religion wurde – wie der Buddhismus – so stark an die Gegebenheiten in China angepasst, dass von ihr nicht viel übrig blieb. Auch der Ausschließlichkeitsanspruch von Religionen wurde in China nie so stark betont wie in anderen Ländern. In den Tempeln sieht man auch heute noch Ahnenverehrung, Konfuzianismus und Buddhismus in einer bunten Mischung nebeneinander. Wie beim Kungfu existieren unzählige Schulen. Chinesen sehen meist keinen kategorischen Unterschied zwischen Religionen und warmen Wollsocken. Je mehr man davon hat, desto besser. Und nur weil man die eine Lehre bevorzugt, besteht für viele Chinesen noch lange kein Anlass, nicht auch die andere zu praktizieren. Ich habe einmal einer Studentin geholfen, sich für ein theologisches Promotionsstudium in Deutschland zu bewerben. In der Ausschreibung stand, dass die Zugehörigkeit zu einer christlichen Religion für ein Stipendium vorausgesetzt wird. Als ich sagte, dass sie sich daher leider nicht auf das Stipendium bewerben könne, sagte sie: „Warum? Ich kann doch vorher Christin werden? Oder gibt eine Aufnahmeprüfung?“

Das nun aber gerade der ewig rollbekragte Steve Jobs nach seinem Tod zum Messias der Chinesen geworden ist und in den Großstädten auf zahllosen Plakaten sein grüblerisches Lächeln verbreitet, ist ein wenig inkonsequent.

Schließlich muss man sich beim Thema Tibet von den meisten Chinesen anhören, dass die Gelbmützensekte um den Dalai Lama einst ein religiöses Sklavensystem geschaffen hat und es daher doch vollkommen hirnlos ist, diesen Vertreter einer Ausbeuterideologie zu verehren. Wenn Chinesen in Deutschland in der Exotik-Ecke des Buchladens den tibetischen Religionsführer auf den unzähligen Buchtiteln lächeln sehen, dann wundern sie sich über die Begeisterung, die diesem Mann entgegengebracht wird.

Nun sind zwar nicht alle Geschichten über die Zustände in den chinesischen Apple-Zulieferbetrieben auch nach dem Fakten-Check einer Spiegelgeschichte würdig. Aber unbestreitbar entstehen die paradiesischen Gewinnmargen der Firma mit dem angebissenen Apfel auch durch eine Art Sklavensystem. Apple floriert vor allem deswegen, weil chinesische Arbeitskräfte für einen Hungerlohn die Drecksarbeit machen. Nicht, dass die anderen globalen Firmen, die in China produzieren auch nur einen Deut besser wären. Nein, auch Samsung, Nokia und Siemens und die meisten anderen Konzerne, die in China fertigen lassen, sind auf dem Prinzip der Ausbeutung chinesischer Arbeitskräfte durch Niedriglöhne aufgebaut. Apple hat das Prinzip nur perfektioniert.

Aber warum lieben die Chinesen denn den Mann und seine Firma, für dessen Aktienkurssteigerung zahlreiche ihrer Landsleute in den Werkshallen schuften? Ich kann es mir eigentlich nur durch das Stockholm-Syndrom erklären. Oder durch die Tatsache, dass Apple die besten und schicksten Endgeräte ohne USB-Anschluss baut.