Vor einer Weile erwähnte ich das Buch „Die Langnasen: Was die Chinesen über uns Deutsche denken“ in einem Erstsemesterseminar für chinesische Germanistikstudenten. Ich sagte, dass es ein gutes Buch sei, geschrieben von Autoren, die sich sehr für die Verständigung von Deutschland und China einsetzen. Ich fuhr fort, dass es von einem chinesisch-stämmigen Sinologieprofessor und seiner deutschen Frau, die als Dolmetscherin arbeitet, geschrieben wurde. Eine junge Studentin fragte mich daraufhin sehr aufgeregt, ob ich mit diesem Professor vielleicht Yu-Chien Kuan (关愚谦) meine. Als ich es bejahte, da purzelten die Sätze der Begeisterung nur so aus ihr heraus. Weiterlesen
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Was ist Aufklärung?
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit bedeutet, dass jemand nicht fähig ist, seinen eigenen Verstand ohne die Leitung eines anderen zu benutzen. Selbstverschuldet bedeutet, dass diese fehlende Fähigkeit nicht durch einen Mangel an Verstand begründet ist. Stattdessen fehlt es an Mut und Kraft, den eigenen Verstand ohne die Leitung eines anderen zu benutzen. Sapere aude! Riskiere es, dich über die Welt zu informieren! Habe Mut, deinen eigenen Verstand zu benutzen.
Der Mensch hat sich von der Macht der Natur befreit und lebt nicht mehr unter ihrer Kontrolle wie ein Tier. Heute ist es die Faulheit und Feigheit, die dazu führt, dass viele Menschen ihr ganzes Leben lang unmündig bleiben. Faulheit und Feigheit sind der Grund, warum viele Menschen von anderen Menschen kontrolliert und gesteuert werden. Es ist so bequem, unmündig zu sein.
- Habe ich ein Buch, in dem die Welt erklärt wird, dann brauche ich nicht meinen eigenen Verstand benutzen.
- Kenne ich einen klugen Menschen, der mir das gute Leben erklärt, dann brauche ich meinen Verstand nicht zu benutzen.
- Habe ich einen Arzt, der mir sagt, was gesund für mich ist, dann brauche ich meinen Verstand nicht zu benutzen.
Ich brauche nicht die mühsame Aufgabe des Denkens zu leisten, wenn andere Leute es für mich tun. Außerdem halten die meisten Menschen (besonders die Frauen) es nicht nur für anstrengend, sondern auch für gefährlich, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Sie wurden von den Menschen, die sie kontrollieren, so erzogen. Wie die Tiere im Stall werden sie behandelt von ihren Herren. Zuerst sind diese ruhigen Tiere im Dunkeln des Stalles eingesperrt. Sie sind es nicht gewohnt, auf der Wiese zu grasen. Ihnen wird gesagt, welche Gefahr droht, wenn sie den Stall verlassen würden. In Wirklichkeit gibt es aber gar keine Gefahr. Sie würden vielleicht zunächst stolpern und fallen. Aber nach kurzer Zeit hätten sie gelernt, allein auf der Wiese zu gehen und das grüne Gras zu fressen. Doch die Angst vor dem Stolpern und dem Fallen verhindert, dass die Tiere es versuchen.
Viele Menschen haben es verlernt, ihren eigenen Verstand zu benutzen
Es ist also für jeden Menschen schwer, sich aus der Unmündigkeit, die er für unvermeidlich hält, herauszuarbeiten. Viele Menschen fühlen sich in diesem Zustand wohl. Sie haben es verlernt, ihren eigenen Verstand zu benutzen, weil man es ihnen noch nie erlaubt hat. Vereinfachte Wahrheiten, ständig wiederholte Formeln, die die Welt erklären sollen und zu denen man sich bekennen muss, sind die Fesseln der Menschen, die sie in ihrer Unmündigkeit festhalten. Wenn man sich von ihnen befreit und frei bewegt, dann werden die ersten Bewegungen sehr mühevoll und unsicher sein, weil man nicht gewohnt ist, die neue Bewegungsfreiheit zu nutzen. Deswegen gibt es nur sehr wenige, die es schaffen, sich selbst von den Fesseln zu befreien und einen sicheren Gang zu entwickeln.
Aber es gibt eine andere Möglichkeit. Die ganze Gesellschaft kann sich zu einer aufgeklärten Gesellschaft entwickeln, wenn die Freiheit der Menschen nicht zu sehr eingeschränkt wird. Denn auch unter den Menschen, die andere Menschen kontrollieren, gibt es welche, die es gelernt haben, ihren eigenen Verstand zu benutzen. Sie haben erkannt, dass es für die eigene Entwicklung und die Entwicklung der Gesellschaft gut ist, wenn die Menschen ihren eigenen Verstand benutzen. Sie werden wahrscheinlich von den Menschen, die noch vor kurzem von ihnen kontrolliert wurden, kritisiert werden. Denn diese können den Wert der Aufklärung nicht sehen. Außerdem werden die anderen Herrschenden, die nicht zur Aufklärung fähig sind, es verhindern wollen, dass die Menschen ihren eigenen Verstand bedienen. Es ist also niemals gut, auf der Suche nach der Wahrheit zu glauben, dass man die Antworten auf die Fragen des Lebens schon kennt. Denn dadurch entsteht nur die Unfähigkeit zu lernen. Man sollte keine Meinung als richtig oder falsch bezeichnen, wenn man sie nicht durch seinen eigenen Verstand überprüft hat. Wenn man stattdessen nur die eine Seite der Wahrheit akzeptiert und Vorurteile gelten lässt, besteht immer die Gefahr, dass man irgendwann auf der falschen Seite steht und Rache geübt wird. Daher kann ein Volk nur langsam zur Aufklärung gelangen. Durch eine Revolution wird es vielleicht gelingen, dass ein System, das die Menschen ausbeutet und unterdrückt, zu besiegen, aber es wird dadurch niemals eine wahre Reform der Denkweise erreicht. Denn alte und auch neue Vorurteile werden die Gedanken der Revolutionäre leiten.
Die Freiheit, die man für die Aufklärung braucht, ist die ungefährlichste Freiheit
Für die Aufklärung braucht man also nichts anderes als Freiheit. Freiheit mag nicht immer gut sein und birgt auch Gefahren. Die Freiheit, die man für die Aufklärung braucht, ist jedoch die ungefährlichste Freiheit. Es ist die Freiheit, von seinem Verstand in jeder Hinsicht öffentlichen Gebrauch zu machen. „Nein, nein, nein“, höre ich von allen Seiten „Das ewige räsonieren bringt uns doch keinen Schritt weiter.“
- Der Offizier sagt: „Ihr sollt nicht denken, ihr sollt marschieren.“
- Der Buchhalter sagt: „Ihr sollt nicht denken, ihr sollt bezahlen!“
- Der religiöse Führer sagt: „Ihr sollt nicht denken, ihr sollt glauben!“
Überall wird die Freiheit zum Denken eingeschränkt und man muss sich in seiner Rolle in der Gesellschaft verhalten. Viele dieser Einschränkungen der Freiheit sind auch tatsächlich notwendig, weil jeder Mensch nur ein kleiner Teil eines größeren Gesellschaftsgefüges ist. Menschen haben ihre Rolle in der Gesellschaft, die sie ausfüllen müssen. Deswegen stellt sich die Frage, welche Einschränkungen der Freiheit sinnvoll sind und welche nicht. Ich antworte: Man muss trennen zwischen dem öffentlichen Gebrauch seines Verstandes, der der Wahrheitsfindung dient und dem privaten Gebrauch, der durch die persönliche Rolle in der Gesellschaft eingeschränkt ist. Die Einschränkung dieses privaten Gebrauchs ist für den Fortschritt der aufgeklärten Gesellschaft kein Hindernis.
In der Weltbürgergesellschaft kommunizieren die Gelehrten durch ihre Werke
Für das gesamtgesellschaftliche Interesse ist es in einigen Fragen notwendig und wichtig, dass die Bürger eines Staates sich passiv verhalten und den Anweisungen der Regierung folgen. Wenn man dies nicht tut, gefährdet man die Interessen der Gemeinschaft und die Regierung kann und wird versuchen dies zu verhindern. Als Teil einer Gesellschaft ist es in mancher Hinsicht also wichtig, dass man auf das Denken verzichtet und sich der herrschenden Meinung unterordnet. Aber jeder Mensch ist nicht nur ein Teil dieser Maschinerie, sonder gleichzeitig auch ein Mitglied einer viel größeren Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft ist die Weltbürgergesellschaft, in der ein Gelehrter durch seine Werke mit anderen Menschen kommuniziert. Hier sollte jeder Mensch seine rational begründete Meinung frei äußern können, auch wenn sie nicht der herrschenden Mehrheit der Menschen seiner Gesellschaft entspricht. Wenn einem Offizier im Dienst etwas befohlen wird, dann darf er den Befehl nicht hinterfragen, sondern er muss ihn ausführen. Aber wenn der Kampf vorüber ist, dann muss es dem Offizier erlaubt sein, Anmerkungen zu machen über die Fehler, die im Kriegseinsatz gemacht wurden. Es muss erlaubt sein, dass er seine wohl begründete Meinung veröffentlicht und anderen Menschen zur Beurteilung vorlegt.
Ein Bürger muss seine Steuern bezahlen. Wenn er dazu aufgefordert wird, dann ist es sogar strafbar, falls er es nicht tut und er muss bestraft werden, wenn er dies nicht den Gesetzen entsprechend handelt. Aber in einer gerechten, aufgeklärten Gesellschaft ist es ihm erlaubt, nach der Bezahlung seiner Steuern, öffentlich die Höhe der Steuern zu kritisieren. Ein Geistlicher, der die Aufgabe übernommen hat, eine Gemeinde zu leiten, muss sich an die Regeln und Sitten der Religion halten, denn dies ist Teil seines Auftrages. Allerdings muss ihm die Freiheit gegeben sein, sich in der Öffentlichkeit Gedanken über die Verbesserung des Religions- und Kirchenwesens zu machen.
In der Trennung zwischen dem öffentlichen Gebrauchs seines Verstandes und dem privaten in seiner Rolle in der Gesellschaft besteht kein Widerspruch. Wenn ein Geistlicher in der Kirche in seiner Rolle als Amtsträger funktioniert, dann vertritt er die Meinung der Kirche, die vielleicht nicht in jeder Hinsicht seinen eigenen Gedanken entspricht. Vielleicht ist er sogar in einigen Punkten vollkommen anderer Meinung. Trotzdem muss er die Gedanken der Kirche lehren, denn er arbeitet für sie. Er wird versuchen, das Beste aus dieser Lehre zu machen, die in seinen Augen vielleicht gar nicht richtig ist. Die Ansicht, die er als Amtsträger vertritt, wird aber wahrscheinlich nicht grundsätzlich seiner Auffassung von der richtigen Religion widersprechen, denn sonst würde er sich nicht für die Aufgabe des Amtes verpflichtet haben. Wenn das Amt nicht mit seinem Gewissen vereinbar ist, müsste er es aber niederlegen.
Als Priester ist diese Person in ihrer freien Meinungsäußerung also eingeschränkt. Als öffenliche Person jedoch, die an dem Wohl der viel größeren Gemeinschaft interessiert ist, muss sie jedoch eine uneingeschränkte Freiheit genießen, ihren eigenen Verstand benutzen zu dürfen. Denn es ist nicht einzusehen, dass die Menschen, die dem Volk übergeordnet sind, sich selbst unter die Herrschaft einer Weltanschauung oder die Herrschaft anderer Menschen stellen sollen.
Die Menschen haben kein Recht, die Menschen in den folgenden Generationen auf einen Weg festzulegen
Nun könnte man die Frage stellen, ob es nicht sinnvoll ist, dass sich eine Gesellschaft auf eine Ideologie einigt und diese Ideologie für alle Zeiten festschreibt und für alle Mitglieder der Gesellschaft verbindlich macht? Ich sage: Das ist ganz unmöglich. Eine solche Einigung, welche die Menschen an dem Fortschritt der Gesellschaft durch Aufklärung hindert, ist niemals rechtmäßig zu begründen. Und auch wenn alle Gerichte und Institutionen sich auf so eine Vereinbarung geeinigt haben, ist es doch ein Vertrag, der nicht den natürlichen Rechten des Menschen entspricht. Die Menschen, die in einem Zeitalter leben, haben kein Recht dazu, die Menschen in den folgenden Generationen auf einen bestimmten Weg festzulegen. Denn dann wäre man nicht fähig, die alten Irrtümer zu beseitigen und die Erkenntnisse zu erweitern. Das wäre ein Verbrechen gegen die menschliche Natur, deren Bestimmung der Fortschritt ist. Die Nachkommen sind daher dazu berechtigt, solche Beschlüsse nicht anzuerkennen und stattdessen den Weg zu gehen, der auf dem eigene Denken begründeten und der Fortschrittlichkeit verpflichtet ist.
Es wäre allerdings möglich, dass sich ein Volk vorübergehend eine gewisse Ordnung und Ideologie selbst gibt, die so lange gilt, bis man eine bessere gefunden hat. Währenddessen muss es aber den Gelehrten erlaubt sein, öffentlich über eine bessere Ordnung nachzudenken und über die Ideologie zu diskutieren. Wenn die Diskussion dann zu Ergebnissen geführt hat und viele Menschen der Ansicht sind, dass man der Regierung öffentliche Reformvorschläge für eine bessere Gesellschaft unterbreiten kann, dann sollte das auch geschehen. Diejenigen, die die alte Ordnung behalten möchten, sollten das Recht haben, gehört zu werden. Aber auch die, die einen Verbesserungsvorschlag gemacht haben, sollten nicht unterdrückt werden. Ein Menschleben ist zu kurz, um sich auf eine allein gültige, ideologische Auffassung zu einigen, die von niemandem öffentlich bezweifelt werden darf. Dadurch würde man den gesellschaftlichen Fortschritt aufhalten und die Chancen vernichten, dass sich die Gesellschaft verbessert. Das ist nicht gerecht gegenüber den Nachkommen und daher nicht zulässig.
Ein einzelner Mensch kann für eine gewisse Zeit die Aufklärung verschieben. Aber völlig darauf zu verzichten und diesen Verzicht für die Nachkommen festzuschreiben ist eine Handlung, die eines Menschen nicht würdig ist. Wenn aber nicht einmal das Volk eine Festlegung auf einen ideologischen Weg beschließen darf, weil sie damit die Chancen für eine bessere Gesellschaft verringert, dann dürfen die Regierenden es sicherlich auch nicht. Die Rechtmäßigkeit einer Regierung besteht schließlich gerade darin, dass sie die Interessen des Volkes vertritt und den Willen des Volkes repräsentiert. Die Regierenden müssen also darauf acht geben, dass die Verbesserungsvorschläge auch wirklich im Sinne einer besseren Ordnung sind. Die Regierenden sind jedoch keinesfalls dafür verantwortlich, welchen Weg sich ein Volk aussucht. Es ist der Weg des Volkes. Stattdessen sind sie dafür verantwortlich, dass keine Macht das Volk gewalttätig daran hindert, diesen Weg zu gehen. Eine Regierung sollte nicht versuchen, die Schriften, die sich mit der Verbesserung der Gesellschaft beschäftigen zu kontrollieren und zu zensieren. Diese Einsicht hatten schon die Römer. Und niemals sollten die Regierenden versuchen, diejenigen Kräfte in einem Staat zu unterstützen, die einen Vorteil davon haben, wenn die Menschen es lassen, ihren eigenen Verstand zu bedienen.
Wir leben in einem Zeitalter der Aufklärung
Wenn man jetzt die Frage gefragt wird: „Leben wir in einem aufgeklärten Zeitalter?“, dann lautet die Antwort: „Nein, wir leben wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.“ Es ist so, dass die meisten Menschen in diesem Land nicht in der Lage sind, ideologische Fragen mit Hilfe ihres eigenen Verstandes zu verstehen, ohne dabei angeleitet zu werden. Bis dahin ist noch ein weiter Weg. Aber es ist ihnen der Weg geöffnet worden und sie beginnen die ersten Schritte zu gehen. Die Hindernisse zu einer selbstbestimmten, aufgeklärten Gesellschaft auf dem Weg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit werden allmählich weniger werden, dafür gibt es deutliche Anzeichen. In Anbetracht dessen ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung, oder das Jahrhundert Friedrichs.
Friedrich ist ein Herrscher, der es unwürdig findet, den Menschen vorzuschreiben, was sie in ideologischen Fragen denken sollen. Er gibt ihnen in diesen Fragen die volle Freiheit. Nicht nur, dass er es nicht nur erlaubt, nein, er fordert es, dass die Menschen sich ihre Meinung selbst bilden. Er verdient den Respekt und den Dank der Nachwelt, dass er jeden Untertanen dazu ermutigt hat, sich in ideologischen Fragen seines eigenen Verstandes zu bedienen. Geistliche dürfen sich fragen, ob die Lehre, die sie vertreten, die richtige und wahre ist. Aber nicht nur diejenigen, die durch ein Amt eine Rolle ausfüllen, unterstützt Friedrich. Gerade die Bürger, die kein Amt ausüben, ermutigt Friedrich, ihren Verstand zu benutzen. Dieser Geist der Freiheit breitet sich auch an anderen Orten aus. Selbst da, wo Regierungen, die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, es zu verhindern versuchen. Denn es wird immer deutlicher, dass in freiheitlichen Gesellschaften niemand sich um die Stabilität, den inneren Frieden und die Einigkeit des Staates Sorgen machen muss. Die Menschen arbeiten sich aus eigener Kraft aus der Unfähigkeit zu denken heraus, wenn man ihnen die Möglichkeiten dazu gibt.
Nur eine Regierung, die stark und stabil ist, kann den Bürgern viel Freiheit geben
Ich habe den Schwerpunkt meiner Analyse der Aufklärung als Ausgang des Menschen aus seiner unverschuldeten Unmündigkeit bei dem Thema Ideologie gesetzt. Denn bei den Künsten und bei der Wissenschaft sind unsere Herrscher weniger streng in ihrer Kontrolle. Die ideologische Unmündigkeit ist auch wohl die schädlichste. Aber es ist nicht nur die ideologische Ausrichtung, über die man in einem Staat problemorientiert diskutieren sollte. Auch beim Thema der Gesetzgebung sollte es dem Volk erlaubt sein, Kritik zu üben und Veränderungen vorzuschlagen. Auch in diesem Bereich hat Friedrich seinen Bürgern viel Mitsprache-Recht gegeben.
Aber nur die Regierung, die aufgeklärt ist und die stark und stabil genug ist, die öffentliche Sicherheit zu garantieren, kann den Bürgern so viel Freiheit geben. Nur wenn die Menschen in ihrer Rolle den Anweisungen folgen, ist die Stabiliät und die Sicherheit in einem Land garantiert. Nur dann kann die Regierung sagen: „Denkt so viel ihr wollt und worüber ihr wollt. Aber führt zunächst die Befehle aus!“ Es klingt paradox, aber es trifft den Kern der Wahrheit. In ihrem täglichen Leben sind die Menschen an ihre Rolle gebunden und nicht unbedingt frei. Sie schränken ihre eigene Gedankenwelt ein und verhalten sich konform. Aber genau dadurch garantieren sie die Sicherheit, die es erlaubt, als Denkender die Freiheit des Geistes zu nutzen und die Gesellschaft zu verbessern.
So kann sich die Freiheit des Geistes ausbreiten und der Mensch kann das nutzen, was ihm von Natur aus gegeben ist und was ihn vom Tier unterscheidet: Der Wunsch und die Fähigkeit zum freien Denken. Die Freiheit im Denken kann sich dann auf die Freiheit im Handeln auswirken. Auf diesem Wege können sich auch die Grundsätze der Regierung verändern, die dann feststellen wird, dass es nur in ihrem eigenen Interesse ist, den Mensch nicht als Maschine zu behandeln, sondern seine Würde zu achten.
Links im Internet:
http://www.radiobremen.de/nordwestradio/sendungen/nordwestradio_journal/audio56182-popup.html
http://www.radiobremen.de/nordwestradio/sendungen/nordwestradio_journal/audio56044-popup.html
Das Individuum beugt sich nicht dem Markt – Wolfgang Kubin bei „Dialogue“
Der deutsche Sinologe Wolfgang Kubin war am 07.11.2010 Gast beim chinesischen Staatfernsehen auf CCTV 9. In dem Gespräch mit dem Moderator Yang Rui, das auf Englisch geführt wurde, ging es vordergründig um die chinesische Literatur.Wolfgang Kubin hält große Teile der modernen chinesischsprachigen Literatur für schlecht und an der Befriedigung des Marktes orientiert. Der eigentlich für seine ruhige Art bekannte Moderator fühlte sich durch die in seinen Augen radikale Sichtweise offensichtlich etwas provoziert.
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Weibos Welt – Mikroblogs verändern die chinesische Gesellschaft
„Mikroblog“ ist in China zum Wort der Jahres 2010 gewählt worden. Diese Auszeichnung ist eines von vielen Anzeichen dafür, dass sich in der Volksrepublik ein medialer Wandel vollzieht, den man mit gewisser Berechtigung als Twivolution bezeichnen kann. Das chinesische Wort für Mikroblog lautet Weibo (微博) und wird fast gleich ausgesprochen wie das Wort für Schal (围脖). Im Internet hat sich dewegen die Bezeichnung „einen Schal weben“ (织 围脖) als Schlagwort für etwas durchgesetzt, das zu einem wichtigen öffentlichen Informationskanal geworden ist.
Mikroblogs sind soziale Netzwerke, die nach dem Vorbild von Twitter funktionieren und erlauben es den Benutzern, sich durch einen Kurznachrichtendienst miteinander zu vernetzen. Twitter selbst ist zwar seit 2009 chinaweit blockiert, die Dienste von chinesischen Anbietern jedoch erfreuen sich rasant steigenden Zuwachsraten. Die großen Online-Portale wie Sina.com, QQ.com und Sohu.com bieten Mikroblogs bereits seit 2007 an, aber der große bis heute andauernde Boom begann eigentlich erst vor zwei Jahren. In diesem Zeitraum ist die Anzahl der chinesischen Mikroblog-User von 8 Millionen auf inzwischen über 75 Millionen gewachsen. Blogs von chinesischen Berühmtheiten haben schon jetzt eine Reichweite, die viele Fernsehsender in den Schatten stellt. Der derzeit beliebteste Blog ist der von Chinas Sport-Nationalhelden, dem Hürdenläufer Liu Xiang (刘翔). Er hat fast 12 Millionen Fans, wie die chinesische Bezeichnung für Abonennten eines Blogs lautet. Aber auch der auf dem zweiten Platz liegende ehemalige Microsoft- und Google-Manager Li Kaifu (李开复) hat aktuell bei QQ.com über 11 Millionen Fans. Fast genau so viele haben Barack Obama und Brittney Spears bei Twitter – wenn man sie zusammenzählt.
Die Mikrobloggs werden in China wie überall auf der Welt genutzt, um alle, die sich für die eigenen Erlebnissen und Gedanken interessieren, auf dem Laufenden zu halten. Geschrieben wird über das eigene Alltagsleben, die beliebtesten Internetvideos und die neuesten Trends innerhalb und außerhalb der Netzwelt. In zunehmendem Maße werden die Mikroblogs aber auch genutzt, um Kommentare zu aktuellen Geschehnissen abzugeben, über die in den Staatsmedien nicht oder nur sehr wenig berichtet wird. Seit die Olympiade und die Weltausstellung vorrüber sind und die Konflikte in Tibet und Xinjiang das Land und die Weltöffentlichkeit etwas weniger in Atem halten, sind es immer seltener die konventionellen Massenmedien, die die Themen der politischen Diskussion vorgeben, sondern die Blogs und Mikroblogs im Internet.
Zwar werden die Einträge, wenn sie sensible Themen betreffen, immer wieder von den Betreibern der Seite gelöscht – oder wie es in der chinesischen Internetsprache heißt: harmonisiert – aber diese Maßnahmen können es nicht verhindern, dass viele brisante und kontroverse Themen und Ereignisse einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden. Die chinesische Twivolution, so wie sie sich abzeichnet, zeigt jedoch im Gegensatz zu anderen Ländern derzeitig kaum die Tendenz zu einem revolutionären Umbruch. Es handelt sich auch in den Augen vieler chinesischer Intellektueller eher um einen langfristigen Transformationsprozess hin zu einer informierten Gesellschaft mit einer pluralistischen öffentlichen Meinung.
Dabei leisten Blogger augenscheinlich einen wertvollen Beitrag zu mehr Transparenz. Die gesteigerte öffentliche Aufmerksamkeit durch die Blogger verringert bereits jetzt die Gefahr, dass Skandale „unter den Teppich gekehrt“ werden, weil sie nicht den Interessen der Regierung entsprechen und staatliche Medien oft nicht die Form von investigativem Journalismus betreiben, wie er in vielen anderen Ländern üblich ist. Die jüngsten Ereignisse beim sogenannten Ligang-Gate haben gezeigt, dass soziale Netzwerke, Blogs und immer mehr auch die Mikroblogs derzeit in China oft einen schnelleren Zugang zu gesellschaftlich relevanten Informationen bieten als die konventionellen Medien.
Die kürzlich von einem Beijinger Sozialwissenschaftler ins Leben gerufene Online-Kampagne zur Suche nach entführten Kindern, die in einigen Fällen zum betteln gewungen wurden, hat viele Menschen auf das Problem aufmerksam werden lassen. Viele User trugen aktiv zu der Suche bei, indem sie dem Aufruf folgten und Fotos von bettelnden Kindern auf der Mikroblog-Seite veröffentlichten. Diese Suche führte tatsächlich zu Ergebnissen und mindestens ein Vater konnte seinen entführten Sohn wieder in die Arme schließen. Der wahrscheinlich jedoch viel größere Erfolg dieser Aktion ist jedoch, dass sich die chinesische Öffentlichkeit mit diesem wichtigen Thema beschäftigt. Kinder, die von skrupellosen Erwachsenen zum Betteln missbraucht werden, sind in chinesischen Großstädten eine erschreckende Realität. Und nur eine möglichst breite gesellschaftliche Diskussion wird Wege finden können, diesen Kindern auch langfristig zu helfen.
Die alternativen Informationskanäle bergen jedoch auch Gefahren. Die Anonymität und Flüchtigkeit des Mediums Internet hat wie überall auf der Welt auch in China zur Folge, dass auch Unwahrheiten und Gerüchte sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Ein Beispiel aus der jüngeren Zeit ist ein Ereignis, das als „Jin Yong wurde verstorben“ (金庸 “被辞世”) in den Wortschatz der chinesischen Internetgemeinschaft Eingang gefunden hat. Im letzen Dezember verbreitete sich eines Nachts ein Gerücht, das schon am nächsten Morgen die Vögel von den Dächern zwitscherten: „Jin Yong, geboren am 22. März 1924, verstarb am 6. Dezember um 19.07 Uhr in einem Hongkonger Krankenhaus.“ Während einige Mikroblogger den Wahrheitsgehalt der Nachricht anzweifelten, schrieben andere bereits die ersten Nachrufe auf Jin Yong, den Schöpfer der klassischen Kungfu-Literatur. Und Meister Jin selbst? Der war weder tot, noch hatte er die Chance, zu der Nachricht von seinem plötzlichen Ableben eine angemessene Stellungnahme abzugeben.
Zusatz (27.05.2011, 13.53 GMT+8, korrigiert 27.05.2011, 20.50 GMT+8 )
Ich muss allerdings zu meiner Schande eingestehen, dass ich bisher keine Versuche unternommen habe, diese Variante der Geschichte zu überprüfen. Mir fehlt als Blogger einfach die Zeit. Ob Jin Yong gestorben ist oder nicht? Ich weiß es einfach nicht. In einem Vortrag, den ich im German Center, Beijing von der Vize-Präsindetin Yu Wei (于威) des chinesischen Online Big-Players sohu.com gehört habe, habe ich erfahren, dass viele chinesische Online-Medien für ihre Nachrichtenagebote wohl bald ganz auf Journalisten verzichten werden und stattdessen die User durch Mikroblogs die Nachrichten selbst generieren sollen. Das halte ich für eine schlechte Idee. Wenn man nicht die Gerüchteküche, die Anschuldigungen, die Propagenda und den ganzen anderen Unsinn im Internet ganz klar und eindeutig von den verifizierten Nachrichten trennt, dann sind das natürlich keine Nachrichten. (Wenn man den Lesern klar macht, dass die zusammengestellten Informationen keinen Anpruch auf Korrektheit haben, dann ist das OK. Ob man damit seine Marke als „Portal“ gegen die Konkurrenz behauptet kann, ist allerdings zweifelhaft)
Diese Idee von sohu.com ist sogar noch schlechter als der Trend, in Deutschland die Inhalte zu immer größeren Teilen ungeprüft von Nachrichtenagenturen zu übernehmen. Der Journalist muss in Zeiten, in denen die Medienproduktionsmittel ohnenhin in den Händen des Volkes sind, eine ganz andere Rolle einnehmen als früher. Als der Buchdruck erfunden wurde, hat der Kantor seine Predigerrolle eingebuesst – zu Recht. Und heute, wo der Zugang zur Produktion und Rezeption von Medien auf der ganzen Welt frei ist/sein wird, sind die Ansprüche an den Informationsgehalt von Nachrichten deutlich gestiegen. Diese Ansprüche müssen erfüllt werden, weil der Journalismus sich sonst auf lange Sicht womöglich selbst abschafft. Der Kapitän im Meer der Informationen ist gefragt. Und das mehr denn je. Für alles andere werden die Leute in einigen Jahren wahrscheinlich kein Geld mehr aus geben.
Mein Vater ist Li Gang
Mein Vater ist Li Gang (我爸是李刚). Diesen Satz soll ein junger Mann gesagt haben und er hat damit den Hass und die Verachtung einer ganzen Nation auf sich gezogen. Aber was ist denn so schlimm daran, wenn jemand sagt, wer sein Vater ist? Jeder Mensch hat einen Vater und jeder Vater hat einen Namen. Wie kann es denn also sein, dass jemand nur mit der Nennung des Namens seines Vaters die Empörung eines ganzen Landes auf sich zieht?
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