Nachtrag: Der Gott des angebissenen Apfels

Die Nachricht schlug in China ein wie eine Bombe. Gott ist tot. Als Steve Jobs starb, da waren viele Chinesen verwirrt. Sicher, man hatte von seiner Krankheit gehört und man hatte wahrgenommen, dass er bei den Produktpräsentationen von Mal zu Mal gebrechlicher wirkte. Aber tot? Steve Jobs war also wirklich sterblich?

Steve Jobs wurde in China in einem Maße vergöttert, das noch weit über die kultische Verehrung hinausgeht, die man weltweit vor allem in den sogenannten Kreativberufen antrifft. Apple ist mehr als nur eine Firma, die Endgeräte ohne USB-Anschluss baut. Apple ist eine weltumspannende Religion. Ganz sicher. Und wer einmal dieses Leuchten in den Augen eines Grafikdesigners gesehen hat, wenn er sein neues 4S aus der medizinisch-neutral-weißen Verpackung herausnimmt und zum ersten Mal die Finger zärtlich über das Display gleiten lässt, der weiß, dass in Palo Alto keine Computer und Handys entworfen werden, sondern Visionen eines besseren Lebens, die aus den sphärischen Dimensionen der Cloud zu den Menschen gelangen.

Bisher hat sich China durch die Jahrtausende eigentlich gegenüber jeder Form des Glaubens an spirituelle Welten erfolgreich verschlossen. Oder aber die Religion wurde – wie der Buddhismus – so stark an die Gegebenheiten in China angepasst, dass von ihr nicht viel übrig blieb. Auch der Ausschließlichkeitsanspruch von Religionen wurde in China nie so stark betont wie in anderen Ländern. In den Tempeln sieht man auch heute noch Ahnenverehrung, Konfuzianismus und Buddhismus in einer bunten Mischung nebeneinander. Wie beim Kungfu existieren unzählige Schulen. Chinesen sehen meist keinen kategorischen Unterschied zwischen Religionen und warmen Wollsocken. Je mehr man davon hat, desto besser. Und nur weil man die eine Lehre bevorzugt, besteht für viele Chinesen noch lange kein Anlass, nicht auch die andere zu praktizieren. Ich habe einmal einer Studentin geholfen, sich für ein theologisches Promotionsstudium in Deutschland zu bewerben. In der Ausschreibung stand, dass die Zugehörigkeit zu einer christlichen Religion für ein Stipendium vorausgesetzt wird. Als ich sagte, dass sie sich daher leider nicht auf das Stipendium bewerben könne, sagte sie: „Warum? Ich kann doch vorher Christin werden? Oder gibt eine Aufnahmeprüfung?“

Das nun aber gerade der ewig rollbekragte Steve Jobs nach seinem Tod zum Messias der Chinesen geworden ist und in den Großstädten auf zahllosen Plakaten sein grüblerisches Lächeln verbreitet, ist ein wenig inkonsequent.

Schließlich muss man sich beim Thema Tibet von den meisten Chinesen anhören, dass die Gelbmützensekte um den Dalai Lama einst ein religiöses Sklavensystem geschaffen hat und es daher doch vollkommen hirnlos ist, diesen Vertreter einer Ausbeuterideologie zu verehren. Wenn Chinesen in Deutschland in der Exotik-Ecke des Buchladens den tibetischen Religionsführer auf den unzähligen Buchtiteln lächeln sehen, dann wundern sie sich über die Begeisterung, die diesem Mann entgegengebracht wird.

Nun sind zwar nicht alle Geschichten über die Zustände in den chinesischen Apple-Zulieferbetrieben auch nach dem Fakten-Check einer Spiegelgeschichte würdig. Aber unbestreitbar entstehen die paradiesischen Gewinnmargen der Firma mit dem angebissenen Apfel auch durch eine Art Sklavensystem. Apple floriert vor allem deswegen, weil chinesische Arbeitskräfte für einen Hungerlohn die Drecksarbeit machen. Nicht, dass die anderen globalen Firmen, die in China produzieren auch nur einen Deut besser wären. Nein, auch Samsung, Nokia und Siemens und die meisten anderen Konzerne, die in China fertigen lassen, sind auf dem Prinzip der Ausbeutung chinesischer Arbeitskräfte durch Niedriglöhne aufgebaut. Apple hat das Prinzip nur perfektioniert.

Aber warum lieben die Chinesen denn den Mann und seine Firma, für dessen Aktienkurssteigerung zahlreiche ihrer Landsleute in den Werkshallen schuften? Ich kann es mir eigentlich nur durch das Stockholm-Syndrom erklären. Oder durch die Tatsache, dass Apple die besten und schicksten Endgeräte ohne USB-Anschluss baut.