Die Popkultur als Brücke zwischen Ost und West

Der US-Chinesische Pop-Superstar Wang Lihong hat eine beeindruckende Rede an der Oxford-Universität gehalten. Er hält Softpower für eine Form des Geschichtenerzählens, die es schafft, dass man sich für etwas begeistern kann. Popkultur könne die Wände zwischen den Kulturen einreißen und uns zeigen, dass wir auch über Grenzen hinweg viel mehr Gemeinsamkeiten haben als Unterschiede. Die globalisierte Pop-Welt könne dazu beitragen, uralte Stereotype zu beseitigen. Im globalen Dorf sind wir alle Mitbewohner, die sich besser kennen lernen sollten. Regierung, Nationalitäten, Rassen, all das sind nur artifizielle Abgrenzungen, die uns davon abhalten, einander besser kennenzulernen.

Und um den Langnasen den Zugang zur chinesischen Popmusik zu erleichtern, hat er ein Mixtape mit Liedern, die er liebt, zusammengestellt.

Das Mixtape findet man hier.

Das doppelte Gangnam

Noch immer scheint die ganze Welt nicht vom koreanischen Gangnam-Fieber geheilt. Vielleicht gibt es ja im tiefsten brasilianischen Urwald noch jemanden, der dieses Video noch nicht gesehen hat. Vielleicht. Bei Youtube allerdings ist inzwischen die 100-Millionen-Grenze im unnachahmlichen Hoppe-Hoppe-Reiter-Schritt genommen.

Doch halt. Unnachahmlich. Nicht unbedingt. Was haben die Netizens rund um den Planeten nicht alles angestellt mit diesem Video. Auch die chinesischen Video-Portale quellen geradezu über mit skurrilen Adaptionen. Beliebt sind der Obama-Style, eine technisch beeindruckende, aber fraglos vollkommen politisch-unkorrekte Fassung im Hitler-Style und eine Folkrock-Variante.

Doch die kommen alle nicht aus China. Das beeindruckendste Ergebnis der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem kollektiven Trash-Techno-Galopp aus China ist – böse Zungen würden behaupten erwartenswerterweise – eine Kopie. Aus Hongkong stammt die Version, bei der man schon sehr genau hinsehen muss, um sie vom Original zu unterscheiden.

Tatatatataaa und Hopp:

Musikrezension: Omnipotent Youth Society – Töte diesen Menschen aus Shijiazhuang

Die Omnipotent Youth Society ist für mich die chinesische Band mit dem größten künstlerischen Potenzial derzeit. Sie haben für ihr aktuelles Album Jahre gebraucht und so klingt es auch. Im bäuerlichen Shijiazhuang schrauben ein paar Jungs in den bretterbudenähnlichen Rockschuppen Songs zusammen, die sich kompositorisch kaum hinter Coldplay oder Radiohead verstecken müssen. Auffälligstes Merkmal ihrer Musik sind die sphärischen Trompetenklänge und die oft überraschenden Rythmus- und Melodiewechsel in ihren Liedern. Sie sind alle ausgebildete Musiker, die auch Jazz oder Klassik machen könnten, wenn sie es wollten. Stattdessen füllen sie aber lieber auf einem nicht-existenten chinesischen Rockmusik-Markt eine nicht existente Nische aus. Ihre Fans wissen, dass es ihnen ziemlich gleichgültig ist, ob irgendjemand zuhört. Denn darum geht es nicht. Die glasklaren Lyrics stammen von einem jungen chinesischen Universitätsdozenten für englische Poesie, der die metaphorische Gewalt der chinesischen Sprache zu nutzen weiß. Der Song „Qinghuangdao“ ist eine Hymne und eine junge Frau in dem Video weiter unten sagt, dass sie weinen musste, als sie das Lied zum ersten mal gehört hat.

Ominipotent Youth Society bei „noisey“, Beijing



Ein Einblick in die Welt der „Omnipotent Youth Society“ (Versuch einer Übersetzung):

Töte diesen Menschen aus Shijiazhuang

Um sechs Uhr Abends ist Feierabend,
Ich zieh mir den Kittel der pharmazeutischen Fabrik aus.
Meine Frau kocht Reisbrei,
Ich trinke ein paar Flaschen Bier.

So weiter die nächsten 30 Jahre,
bis das Gebäude zusammenstürzt.
Tief in der Mitte der Wolkenschicht ist Dunkelheit.
Die in meinem Herzen ertrunkene Landschaft.

Am achteckigen Verkaufstresen,
Am verrückten Markt des Volkes,
bezahle ich mit Falschgeld
und kaufe eine falsche Waffe.

Sie beschützt ihr Leben,
bis das Gebäude zusammenstürzt.
Der Vorhang der Nacht bedeckt die Ebenen Nordchinas.
Ihr tieftrauriges, tränenbedecktes Gesicht.

In der Mittelschule in Hebei
spielen sie Ping Pong
und betrachten mich stumm.
Unfähig, das Klassenzimmer zu verlassen.

Das Leben in der Erfahrung
bis das Gebäude zusammenstürzt.
Zehntausend wilde Pferde
laufen durch seinen Kopf.

So weiter die nächsten 30 Jahre,
bis das Gebäude zusammenstürzt.
Tief in der Mitte der Wolkenschicht ist Dunkelheit.
Die in meinem Herzen ertrunkene Landschaft.



Omnipotent Youth Society
bei Amazon



Omnipotent Youth Society-Kill the One from Shijiazhuang

Das ganze Album zum reinhören bei douban.

Das göttliche Lied

Das göttliche Lied wurde von einem Deutschen geschrieben. Es stammt aus der Feder des bis vor kurzem nur in Insider-Kreisen bekannten, deutschen Komponisten Robert Zollitsch. Er ist in München geboren und hat schon in seiner Kindheit seine Liebe zur Musik entdeckt – beim Spielen der Zitter, einem traditionellen deutschen Instrument. Nach einem Musik-Studium in Berlin erhielt er ein Stipendium, um in Shanghai sein Wissen in der traditionellen chinesischen Musik zu vertiefen und die Kunst der Guqin (古琴) zu erlernen.

Die Guqin ist ein klassisches Saiten-Instrument, das der bayerischen Zitter nicht ganz unähnlich ist. Heute ist Robert Zollitsch mit der chinesischen Volkslied-Sängerin Gong Linna (龚琳娜) verheiratet. Mit ihr zusammen hat er zwei Kinder und lebt als Komponist und Produzent in Peking. Er hat sich den chinesischen Namen Lao Luo (老锣) gegeben und verschiedene Alben mit chinesischen Sängern aufgenommen, unter anderem mit seiner Frau. Seine Kompositionen mischen oft verschiedenen Stile miteinander und verbinden traditionelle chinesische Klänge mit westlicher Musik. In vielen seiner Lieder spielt die chinesische Kultur eine wichtige Rolle. Das Lied Jing Ye Si (静夜思) beispielsweise ist eine Vertonung eines Gedichtes des Meisters der Tang-Lyrik Li Bai (李白).





Nun ist die Art von Musik, die Robert Zollitsch und seine Frau machen, eigentlich nicht die Musik, für die sich junge Menschen in China sonderlich interessieren. Traditionelle Klänge hört man zwar bei sehr vielen Anlässen und die Chinesen identifizieren sich trotz der immer moderneren und westlich orientierten Lebenswelt noch immer sehr stark mit ihrer eigenen Geschichte. Aber Chinas Jugend begeistert sich wie die Jugend in den meisten Ländern der Welt eher für die Erzeugnisse der Popmusik, als für den Klang von altertümlichen Saiteninstrumenten.

Doch dann schrieb Robert Zollitsch für seine Frau ein Lied , dem eine Aufmerksamkeit zuteil wurde, wie sonst wohl nur den neuesten Produktionen von Lady Gaga oder S.H.E: Er schrieb das göttliche Lied (神曲). Diese Lied heißt eigentlich Tan Te (忐忑), was so viel wie “in Aufruhr” bedeutet. Die Millionen Internet-Nutzern, die sich die Darbietung von Gong Linna auf Video-Seiten wie tudou.com oder youku.com ansahen, hielten die Klänge jedoch offensichtlich für überirdischen Ursprungs und nannten sie „göttliches Lied“. Denn als ein Video ihrer Darbietung im November 2010 auf diesen Seiten landete, konnten sich die chinesischen Netizens kaum an der teilweise sehr komisch wirkenden Sangeskunst satt sehen. Auch die wunderliche Gesichtsakrobatik von Gong Linna versetzte die Chinesen in staunende Verwunderung.





Inzwischen haben allein auf der Videoplattform tudou.com über vier Millionen User den Spot angesehen. Das Besondere an dem Lied ist zum einen, dass auf einen Text vezichtet wurde. Stattdessen singt Gong Linna eine Anzahl variierender Laute, die selbst für Liebhaber der Peking Oper oft schrill und sonderbar klingen. Hinzu kommt, dass der Rhythmus dieses Liedes immer wieder wechselt. Viele bekannte Sänger in China gaben an, dass sie niemals im Stande wären, dieses Lied zu singen. Einfach zu verschroben war das, was der Deutsche und die Chinesin sich da zusammen ausgedacht haben. Und auch wenn das Lied ursprünglich ernst gemeint war, so liebte die Internetgemeinde daran vor allem das Schräge, das Verrückte. Das göttliche Lied ist irgendwie nicht von dieser Welt.





Im Laufe der nächsten Monate wurde Gong Linna durch das göttliche Lied in China zu einer Berühmtheit und immer mehr Menschen versuchten sich an einer Interpretation der heiligen Klänge. Eine ganze Welle von Adaptionen entstand und noch immer werden neue Versionen dieses seltsamen Liedes auf den Videoportalen hochgeladen.





Eine erwähnenswerte Anekdote am Rande ist die Tatsache, dass das göttliche Lied das einzige Musikstück ist, das jemals vom Chinesischen Basketball Bund (CBA) offiziell verboten wurde. Denn nachdem die verstörende Wirkung dieses Liedes bekannt wurde, begannen einige Teams, die Angriffe der gegnerischen Mannschaft mit den Klängen von Gong Linna zu untermalen. Die seltsamen Rhythmen und Klänge irritierten einige Spieler so sehr, dass sie den Korb nicht mehr trafen und sich später bei den Liga-Verantwortlichen beschwerten. Die hatten ein einsehen und setzten das Lied auf den Basketball-Index.

Und hier für Fans: Die Zugabe. Gong Linna mit ihrem Mann Robert Zollitsch bei einer Talkshow.