Randnotizen: Obama schreit f*****

Die chinesischen Protagonisten der Shanzhai-Kultur(山寨)werden immer kreativer: Früher waren es vor allem Uhren und Handys, die sie mit einfachsten Mitteln nachbauten. Heute sind es ganze Geschäftsmodelle, die kopiert und dabei oft recht frei interpretiert werden. Nach gefälschten Idea-Möbelhäusern, bei denen sich Name und Logo nur minimal vom Original unterschieden, kamen die falschen Apple-Stores, von deren Einnahmen Steve Jobs sicher keinen Cent gesehen hat.

Und weil sich die internationalen Medien in China auf jedes gefälschte Business-Modell stürzen wie eine Rudel Wölfe auf ein einbeiniges Huhn, hatten ein paar Beijinger Studenten, die ein Start-Up gründen wollten, eine recht originelle Idee. Sie nannten ihre Imbiss-Bude einfach „Obama Fried Chicken“ und schon konnten sie sich der Aufmerksamkeit der Internationalen Presse gewiss sein. Es sei ihnen gegönnt. Nach Beschwerden von KFC, deren Hühnerbraterei in der legendären deutschen „Samstag Nacht Show“ einst als „Kentucky schreit ficken“ verhohnepiepelt wurde, benannten sie sich um – von „OFC“ in „UFO“.

Kuhhirte, Weberin und Super-Kuh – Valentinstag in China

Wo der Ursprung des westlichen Valentinstages genau liegt, müsste ich wie die meisten Deutschen bei Wikipedia nachsehen. Wenn man in China nach dem Ursprung des Valentinstages fragt, kennt jeder die Antwort: „Der Kuhhirte hat mit Hilfe der fliegenden Kuh die göttliche Weberin zur Frau genommen. Weil aber der Himmelskaiser der Meinung war, dass ein einfacher Kuhhirte nicht als Gatte für eine göttliche Weberin in Frage kommt, darf er nur einmal im Jahr mit den Elstern über die Milchstraße fliegen und sie besuchen.“ Alles klar? Nein?

In China gibt es zwei Kalender. Den „normalen“ Sonnenkalender und den chinesischen Mondkalender. Und was die blumenverkaufende Industrie besonders erfreut: Es gibt auch zwei Valentinstage – den westlichen und das chinesische Qixi-Fest, das am siebten Tag des siebten Monats des Mondkalenders gefeiert wird. Menschen in festen Partnerschaften aufgepasst: Das ist heute (06. Aug. 2011).

Wie fast alle traditionellen chinesischen Feste beruht auch das Qixi-Fest auf einer sehr „verstrickten“ Legende. In diesem Fall ist es die Geschichte von dem Kuhhirten Niu Lang und einer webenden Fee mit dem Namen Zhi Nü. Eine tolle Geschichte!

Niu Lang war ein Waisenkind, weswegen er zeitweilig bei seinem Bruder wohnte und als Kuhhirte arbeitetet. Er war ein aufrichtiges und fleißiges Kerlchen und bei den Leuten sehr beliebt. Nur seine boshafte Schwägerin konnte ihn nicht leiden. Diese böse Schwägerin gab sich die größte Mühe, ihm das Leben schwer zu machen. Eines Tages ersann sie einen bösen Plan. Sie gab Niu Lang neun Rinder und befahl ihm, zehn vom Hüten zurückzubringen. Wenn ihm das nicht gelänge, müsse er die Familie verlassen. Niu Lang blieb also nichts anderes übrig, als seiner Familie Lebewohl zu sagen. Als Begleitung gab man ihm ein altes, nutzloses Rind, das zum pflügen nicht mehr zu gebrauchen war.

Eine Weile verging und Niu Lang lebte einsam in der Verbannung. Doch eines Tages machte Zhi Nü, die hauptberuflich für den Himmelspalast Seide webte, mit einigen andere Feen einen Ausflug auf die Erde. Sie spazierten durch die Gegend und und badeten in einem Fluss. Bei dieser Begebenheit lernte Niu Lang diese gutaussehende und herzensgute Fee kennen. Wie genau der Kuhirte es vollbracht hat, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, ist geschichtlich nicht überliefert. Bekannt ist allerdings, dass das pensionierte Rind ihm dabei geholfen hat. Diese „olle Kuh“ war zur Überraschung von Niu Lang gar nicht so nutzlos wie ursprünglich angenommen. Es war eine Art Super-Kuh, die sowohl sprechen als auch fliegen konnte.

Eine Spätfolge dieser schicksalsschweren Begegnung war, dass sich die Fee in den ehrlichen und fleißigen Mann verliebte und beide kurz darauf ohne die Einwilligung der Eltern heirateten. Das Ehepaar führte in den folgenden Jahren ein schönes Leben. Niu Lang betrieb Ackerbau und Zhi Nü beschäftigte sich weiterhin mit dem Weben feinster Stoffe. Alles lief prima und sie bekamen schon sehr bald zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter.

Aber die schöne Zeit dauerte nicht ewig. Als der Himmelskaiser und die Himmelkaiserin, die damals das Sagen hatten, davon erfuhren, wurden sie sehr zornig. Es war nicht erlaubt, dass eine hochwohlgeborene Fee einen einfachen Mann heiratet. Der Himmelkaiser schickte daher die Himmelskaiserin auf die Erde. Sie sollte die Weberin mit Gewalt zurück in den Himmel holen. Niu Lang musste entsetzt zusehen, wie seine Frau weggeführt wurde.

Der Himmelskaiser hatte jedoch nicht mit der Super-Kuh gerechnet. Sie sagte plötzlich: “Niu Lang, ich bin so alt. Und allzu lange werde ich ohnehin nicht mehr leben. Wenn du dir mein Leder umhängst, kannst du fliegen. Flieg in den Himmel und rette deine Liebe.“ Daraufhin starb das Rind wie vom Blitz getroffen. Niu Lang trauerte nur kurz, folgte dem Rat des Rindes und zog ihm die Haut vom Leib. Dann legte er sich den flugs genähten Ledermantel um und flog mit seinen Kinder zum Himmel.

Aber kaum hatte Niu Lang die Himmelskaiserin eingeholt, da zog sie mit ihrer goldenen Haarnadel einen Fluss in den Himmel, um so den Kuhhirten und die Weberin für immer voneinander zu trennen. Den gewaltigen Fluss kann man noch heute am Himmel sehen und er trägt in einigen Ländern den schönen Namen Milchstraße.

Eine Zeit lang schien es, als ob sich Niu Lang und Zhi Nü nie wieder sehen würden. Aber dann hörten die Elstern diese tragische Liebegeschichte. Unzählige Elstern versammelten sich und bildeten eine Brücke über den Himmelsfluss, damit das Ehepaar auf der Brücke zusammentreffen konnte. Als die Himmelskaiserin dieses Zeichen der Liebe sah, erweichte sich ihr Herz. Seitdem dürfen sich der Kuhhirte und die Weberin einmal im Jahr am „Qixi“, dem siebten Tag des siebten Mondmonats, auf der Elster-Brücke  treffen.

Diese Geschichte hat aber auch alles: Tragik, Romantik, Spannung und eine Super-Kuh. Ich vermute, dass das westliche Valentinsfest da kaum mithalten kann. Darum spare es ich mir auch, dessen Hintergründe bei Wikipedia nachzusehen und gehe einfach weiterhin davon aus, dass unser Valentinstag eine Erfindung der blumenverkaufenden Industrie ist.

—-

Anmerkungen: Der Text ist auf der Grundlage einer studentischen Hausarbeit in einem germanistischen Schreibkurs an der Nankai-Universität im WS 2006/2007 entstanden. Die Studentin, die sich den deutschen Namen „Doris“ gegeben hat, und deren chinesischen Namen ich leider vergessen habe, hat über  „chinesische Feste“ geschrieben. Mein Dank geht an sie: für den tollen Text und die lustige Zeit im Unterricht.

Das wahrscheinliche größte Oktoberfest der Welt – in Beijing?

Ich gebe es offen zu. Ich bin kein Bayern-Fan. Ich bin Norddeutscher und wenn ich im Ausland auf bayuwarisches Kulturgut treffe, dann frage ich mich oft, warum es unter allen Volksstämmen in Deutschland denn unbedingt die Bayern und ihre seltsamen Sitten und Gebräuche geworden sind, die rund um den Globus als typisch deutsch gelten. Wie haben es die Bayern nur geschafft, der ganzen Welt beizubringen, dass man in Deutschland Dirndl und Lederhosen trägt und dazu wahlweise die Brunftgesänge eines läufigen Erdferkels ausstößt (Jodeln) oder wie von Sinnen durch die Gegend springt und sich dabei auf Schuhe und Schenkel schlägt (Schuhplattler)? Daher vorweg eine wichtige Botschaft an alle Chinesen: Die Angehörigen des bayerischen Volksstammes sind in Deutschland so etwas wie eine nationale Minderheit, die Dinge veranstaltet, die das übrige Deutschland für äußerst skurril hält.

Da sind wir dann auch endlich beim eigentlichen Thema. Denn auch wenn es keinen Grund dafür gibt, den Bayern zu erlauben, durch ihre weiß-blaue „Corporate Identity Kampagne“ das Deutschlandbild im Ausland zu monopolisieren, so haben sie doch einiges an Erfolgen vorzuweisen. Neben mehreren gut gehenden Autowerken und einem Fußballverein, der sich bei jeder Gelegenheit „Rekordmeister“ nennt, vor allem eines: Das Oktoberfest, das größte Volksfest der Welt.

Das urbayrische Trinkgelage ist unbestreitbar eine der größten Touristenattraktionen Deutschlands, und etwa sechs Millionen Besucher feiern jedes Jahr im frühen Herbst „auf der Wiesn“ bei Bier, Brezn und Schweinshaxn (eine weitere seltsame Angewohnheit der Bayern: das Verschlucken der auslautenden Vokale). Und ebenso wie die schrillen Klänge der Peking-Oper und der Skorpion am Spieß für China-Touristen heute dazu gehören, so ist auch die Besichtigung der überdimensionierten Biergläser, der gegrillten Schweinshaxen und der Oberarme der weiblichen Bedienungen fast schon ein Muss beim Besuch im Land der teutonischen Rumpelriesen.

Das Oktoberfest in München hat auf der ganzen Welt inzwischen Nachahmer gefunden. Eine kurze Wikipedia-Recherche ergab, dass die größten Oktoberfest-Zweigstellen in der kanadischen Stadt Kitchener und in brasilianischen Blumenau eröffnet wurden. Das Bier fließt dort in 600.000 bis 700.000 durstige Kehlen.

Und auch in China gibt es seit längerem „Beer Festivals“ nach deutschem Vorbild. Die ehemalige deutsche Kolonialstadt Qingdao veranstaltet jedes Jahr mit großem Erfolg eine chinesische Variante des Oktoberfestes. Von dort stammt auch das nach deutschem Reinheitsgebot gebraute Tsingtao-Bier. Die Qingdaoer sind außerdem dafür bekannt ist, dass sie Bier auch gern in Plastiktüten verkaufen und damit durch die Straßen laufen, was einen unbedarften Betrachter zuerst an Urinproben denken lässt.

Investoren haben sich nun jedoch zum Ziel gesetzt, dass China und seine Hauptstadt auch in Sachen Oktoberfest nicht länger in der Regionalliga spielt, und gleich von Null auf Hundert in die Weltspitze einsteigt. Die längsten Brücken und die schnellsten Computer der Welt sind chinesisch. Und wenn China heute das Land mit dem höchsten Bierkonsum auf der Welt ist, da ist es doch nur selbstverständlich, auf diesem Wachstumsmarkt nicht länger zu kleckern, sondern gleich zu klotzen – und zwar richtig. 84.000 Sitzplätze hat die Anlage, die vor den Toren Beijings in der Nähe des Flughafens hochgezogen wurde, in der die Gäste über einen Monat lang bewirtet werden sollen. Die Chinesen wollten natürlich wie immer vom Weltmeister lernen. Daher haben sie für das Vorhaben einen bayerischer Wiesn-Gastwirt engagiert, der mit seiner geballlten Oazapf-Kompetenz beratend zur Seite stand.

Am letzten Wochenende habe ich mir zusammen mit Freunden das Spektakel einmal aus der Nähe angesehen. Die Anlage ist etwas ist schwer zu finden und liegt auf dem Gelände eines leicht verstaubten Vergnügungsparks, in dem man so lustigen Sachen wie Indoor-Krebs-Angeln machen kann.
Dort stehen also die acht wuchtigen Hallen, die teilweise den Charme eines Ersatzteillagers versprühen. Das war allerdings zu erwarten, denn in der Sprache der Chinesen gibt es kein entsprechendes Wort für „Gemütlichkeit“. Warum auch? In ganz China gibt es keine Gemütlichkeit. Was sollte man dann auch mit so einem Wort anfangen? Und Lagerhallenatmosphäre plus Neonlicht sind in China noch lange kein Hindernis für eine Riesengaudi.

Die Hallen, ungemütlich oder nicht, waren aber an jenem Samstagabend zum großen Teil erschreckend leer. In der Mitte der Gebäude, die an die Münchner Festzelte erinnern sollen, spielen chinesische Bands, die durch das in China übliche ohrenschmerz-garantierende Soundsystem und die nackten Betonfußböden eine Geräuschkulisse erzeugen, bei dem sich China-Greenhorns augenblicklich die Fußnägel aufrollen. Aber auch darüber will ich mich nicht beschweren, denn ohne diese Form der Lärmbelästigung wäre das Projekt „Rekord-Oktoberfest“ wahrscheinlich von vornherein zum Scheitern verurteilt. Der normale Chinese erwartet schließlich bei jeder feierlichen Gelegenheit eine möglichst krächzende Beschallung – egal ob Hochzeit, Firmenjubiläum oder Straßenfest. Erst wenn für Deutsche die schrillen Töne aus den blechernden Lautsprechern die Grenze zur Körperverletzung überschritten haben, fühlen sich Chinesen so richtig wohl. Es muss halt ordentlich krachen.

In den Hallen bedienen neben einigen angeworbenen jungen Deutschen meist chinesische Kellnerinnen, die in den Trachtenkostümen ebenso lustig aussehen wie ihre männlichen Kollegen, deren Lederhosen aus irgendwelchen Gründen teils mit militärischen Tarnfarbenmustern bedruckt sind. Vergnügt hüpfen ganze Horden von ihnen über das Gelände. Sie scheinen die Veranstaltung für einen riesigen Spaß zu halten – sie haben ja auch jeden Grund dazu. Denn zumindest an diesem Tag gibt es keinen Moment, weder in den Zelten, noch an den Kirmesbuden, noch bei den Fahrgeschäften, in dem auch nur annähernd so viel Gäste zu sehen sind wie kostümierte Angestellte. Keine Spur von Akkordbedienung – wofür die deutschen Zenzis weltberühmt sind.

Das Essen schmeckt recht authentisch, besonders wenn man es mit den sonderlichen aufgespießten Fleischerzeugnissen vergleicht, die beim „Goldenen Hans“ als deutsche Spezialitäten angepriesen werden. Die Haxen, Brathändl mit Sauerkraut und Brezn zum Einheitspreis von 50 Yuan kann man entweder mit Stäbchen essen oder aber die mitgelieferten hygienischen Plastikhandschuhen zur Hilfe nehmen. Auch das Bier enthält scheinbar etwas mehr Hopfen als das durchschnittliche chinesische Erzeugnis und ist dadurch deutlich weniger geschmacksneutral.

Insgesamt habe ich mich auf dem Beijinger Oktoberfest sehr amüsiert. Ich hoffe, dass es keine einmalige Veranstaltung war und die große Gaudi auch im nächsten Jahr stattfinden wird. Ich frage mich nur, ob der Veranstalter und seine deutschen Berater an einer Form von Größenwahn leiden, oder aber eine Zukunftsvision haben, die einfach noch etwas Zeit braucht, um in den Köpfen und Herzen der Chinesen einen Platz zu finden. Ganz nach dem Motto: „Die Idee war gut, doch die Welt noch nicht bereit.“

Wenn man jedoch eine Anlage baut, bei der im Laufe des Monats etwa drei Millionen Gäste bewirtet werden sollen, ist das schon ein sehr gewagtes Projekt. Eine Maß Bier kostet auf dem Beijinger

Bierfest mit 90 Yuan (9,67 Euro) rund einen Euro mehr als beim Münchner Original (ca. 8,60 Euro). Ich bin nicht ganz sicher, ob in der Stadt derzeit überhaupt so viele Menschen leben, die zumindest theoretisch bereit wären, diesen Preis für ein Bier zu bezahlen. Ich kenne kaum welche. Nur zum Vergleich: Eine Flasche Tsingtao (0,6 Liter) kostet in kleineren Restaurants etwa 3 Yuan.

Daher mein Tipp für das nächste Jahr: Die Preise halbieren und insgesamt deutlich tiefer stapeln. Man könnte zum Beispiel einige der Hallen einfach wieder abreißen oder zum Indoor-Krebsangeln verwenden. Dann sähe es vielleicht nicht mehr so sehr nach „Größenwahnsinniger Investor greift vergeblich nach dem Oktoberfestmonopol in China“ aus. Aber wie gesagt, ich hab mich köstlich amüsiert und ich bin gespannt wie es weitergeht mit dem „größten Oktoberfest der Welt“.

Und das liegt nicht daran, dass ich unbedingt dabei sein möchte, wenn die Bayern dieses Auswärtsspiel verlieren sollten – bestimmt nicht. Und wenn sie dann doch scheitern, dann springe ich gerne ein. Ich sehe schon die Schlagzeilen, die rund um den Globus gehen: Der größte Fischmarkt der Welt steht jetzt in Beijing.

Das göttliche Lied

Das göttliche Lied wurde von einem Deutschen geschrieben. Es stammt aus der Feder des bis vor kurzem nur in Insider-Kreisen bekannten, deutschen Komponisten Robert Zollitsch. Er ist in München geboren und hat schon in seiner Kindheit seine Liebe zur Musik entdeckt – beim Spielen der Zitter, einem traditionellen deutschen Instrument. Nach einem Musik-Studium in Berlin erhielt er ein Stipendium, um in Shanghai sein Wissen in der traditionellen chinesischen Musik zu vertiefen und die Kunst der Guqin (古琴) zu erlernen.

Die Guqin ist ein klassisches Saiten-Instrument, das der bayerischen Zitter nicht ganz unähnlich ist. Heute ist Robert Zollitsch mit der chinesischen Volkslied-Sängerin Gong Linna (龚琳娜) verheiratet. Mit ihr zusammen hat er zwei Kinder und lebt als Komponist und Produzent in Peking. Er hat sich den chinesischen Namen Lao Luo (老锣) gegeben und verschiedene Alben mit chinesischen Sängern aufgenommen, unter anderem mit seiner Frau. Seine Kompositionen mischen oft verschiedenen Stile miteinander und verbinden traditionelle chinesische Klänge mit westlicher Musik. In vielen seiner Lieder spielt die chinesische Kultur eine wichtige Rolle. Das Lied Jing Ye Si (静夜思) beispielsweise ist eine Vertonung eines Gedichtes des Meisters der Tang-Lyrik Li Bai (李白).





Nun ist die Art von Musik, die Robert Zollitsch und seine Frau machen, eigentlich nicht die Musik, für die sich junge Menschen in China sonderlich interessieren. Traditionelle Klänge hört man zwar bei sehr vielen Anlässen und die Chinesen identifizieren sich trotz der immer moderneren und westlich orientierten Lebenswelt noch immer sehr stark mit ihrer eigenen Geschichte. Aber Chinas Jugend begeistert sich wie die Jugend in den meisten Ländern der Welt eher für die Erzeugnisse der Popmusik, als für den Klang von altertümlichen Saiteninstrumenten.

Doch dann schrieb Robert Zollitsch für seine Frau ein Lied , dem eine Aufmerksamkeit zuteil wurde, wie sonst wohl nur den neuesten Produktionen von Lady Gaga oder S.H.E: Er schrieb das göttliche Lied (神曲). Diese Lied heißt eigentlich Tan Te (忐忑), was so viel wie “in Aufruhr” bedeutet. Die Millionen Internet-Nutzern, die sich die Darbietung von Gong Linna auf Video-Seiten wie tudou.com oder youku.com ansahen, hielten die Klänge jedoch offensichtlich für überirdischen Ursprungs und nannten sie „göttliches Lied“. Denn als ein Video ihrer Darbietung im November 2010 auf diesen Seiten landete, konnten sich die chinesischen Netizens kaum an der teilweise sehr komisch wirkenden Sangeskunst satt sehen. Auch die wunderliche Gesichtsakrobatik von Gong Linna versetzte die Chinesen in staunende Verwunderung.





Inzwischen haben allein auf der Videoplattform tudou.com über vier Millionen User den Spot angesehen. Das Besondere an dem Lied ist zum einen, dass auf einen Text vezichtet wurde. Stattdessen singt Gong Linna eine Anzahl variierender Laute, die selbst für Liebhaber der Peking Oper oft schrill und sonderbar klingen. Hinzu kommt, dass der Rhythmus dieses Liedes immer wieder wechselt. Viele bekannte Sänger in China gaben an, dass sie niemals im Stande wären, dieses Lied zu singen. Einfach zu verschroben war das, was der Deutsche und die Chinesin sich da zusammen ausgedacht haben. Und auch wenn das Lied ursprünglich ernst gemeint war, so liebte die Internetgemeinde daran vor allem das Schräge, das Verrückte. Das göttliche Lied ist irgendwie nicht von dieser Welt.





Im Laufe der nächsten Monate wurde Gong Linna durch das göttliche Lied in China zu einer Berühmtheit und immer mehr Menschen versuchten sich an einer Interpretation der heiligen Klänge. Eine ganze Welle von Adaptionen entstand und noch immer werden neue Versionen dieses seltsamen Liedes auf den Videoportalen hochgeladen.





Eine erwähnenswerte Anekdote am Rande ist die Tatsache, dass das göttliche Lied das einzige Musikstück ist, das jemals vom Chinesischen Basketball Bund (CBA) offiziell verboten wurde. Denn nachdem die verstörende Wirkung dieses Liedes bekannt wurde, begannen einige Teams, die Angriffe der gegnerischen Mannschaft mit den Klängen von Gong Linna zu untermalen. Die seltsamen Rhythmen und Klänge irritierten einige Spieler so sehr, dass sie den Korb nicht mehr trafen und sich später bei den Liga-Verantwortlichen beschwerten. Die hatten ein einsehen und setzten das Lied auf den Basketball-Index.

Und hier für Fans: Die Zugabe. Gong Linna mit ihrem Mann Robert Zollitsch bei einer Talkshow.



Weibos Welt – Mikroblogs verändern die chinesische Gesellschaft

„Mikroblog“ ist in China zum Wort der Jahres 2010 gewählt worden. Diese Auszeichnung ist eines von vielen Anzeichen dafür, dass sich in der Volksrepublik ein medialer Wandel vollzieht, den man mit gewisser Berechtigung als Twivolution bezeichnen kann. Das chinesische Wort für Mikroblog lautet Weibo (微博) und wird fast gleich ausgesprochen wie das Wort für Schal (围脖). Im Internet hat sich dewegen die Bezeichnung „einen Schal weben“ (织 围脖) als Schlagwort für etwas durchgesetzt, das zu einem wichtigen öffentlichen Informationskanal geworden ist.

Mikroblogs sind soziale Netzwerke, die nach dem Vorbild von Twitter funktionieren und erlauben es den Benutzern, sich durch einen Kurznachrichtendienst miteinander zu vernetzen. Twitter selbst ist zwar seit 2009 chinaweit blockiert, die Dienste von chinesischen Anbietern jedoch erfreuen sich rasant steigenden Zuwachsraten. Die großen Online-Portale wie Sina.com, QQ.com und Sohu.com bieten Mikroblogs bereits seit 2007 an, aber der große bis heute andauernde Boom begann eigentlich erst vor zwei Jahren. In diesem Zeitraum ist die Anzahl der chinesischen Mikroblog-User von 8 Millionen auf inzwischen über 75 Millionen gewachsen. Blogs von chinesischen Berühmtheiten haben schon jetzt eine Reichweite, die viele Fernsehsender in den Schatten stellt. Der derzeit beliebteste Blog ist der von Chinas Sport-Nationalhelden, dem Hürdenläufer Liu Xiang (刘翔). Er hat fast 12 Millionen Fans, wie die chinesische Bezeichnung für Abonennten eines Blogs lautet. Aber auch der auf dem zweiten Platz liegende ehemalige Microsoft- und Google-Manager Li Kaifu (李开复) hat aktuell bei QQ.com über 11 Millionen Fans. Fast genau so viele haben Barack Obama und Brittney Spears bei Twitter – wenn man sie zusammenzählt.

Die Mikrobloggs werden in China wie überall auf der Welt genutzt, um alle, die sich für die eigenen Erlebnissen und Gedanken interessieren, auf dem Laufenden zu halten. Geschrieben wird über das eigene Alltagsleben, die beliebtesten Internetvideos und die neuesten Trends innerhalb und außerhalb der Netzwelt. In zunehmendem Maße werden die Mikroblogs aber auch genutzt, um Kommentare zu aktuellen Geschehnissen abzugeben, über die in den Staatsmedien nicht oder nur sehr wenig berichtet wird. Seit die Olympiade und die Weltausstellung vorrüber sind und die Konflikte in Tibet und Xinjiang das Land und die Weltöffentlichkeit etwas weniger in Atem halten, sind es immer seltener die konventionellen Massenmedien, die die Themen der politischen Diskussion vorgeben, sondern die Blogs und Mikroblogs im Internet.

Jin Yong wurde am 06.12 von chinesischen Blogs verstorben.

Zwar werden die Einträge, wenn sie sensible Themen betreffen, immer wieder von den Betreibern der Seite gelöscht – oder wie es in der chinesischen Internetsprache heißt: harmonisiert – aber diese Maßnahmen können es nicht verhindern, dass viele brisante und kontroverse Themen und Ereignisse einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden. Die chinesische Twivolution, so wie sie sich abzeichnet, zeigt jedoch im Gegensatz zu anderen Ländern derzeitig kaum die Tendenz zu einem revolutionären Umbruch. Es handelt sich auch in den Augen vieler chinesischer Intellektueller eher um einen langfristigen Transformationsprozess hin zu einer informierten Gesellschaft mit einer pluralistischen öffentlichen Meinung.

Dabei leisten Blogger augenscheinlich einen wertvollen Beitrag zu mehr Transparenz. Die gesteigerte öffentliche Aufmerksamkeit durch die Blogger verringert bereits jetzt die Gefahr, dass Skandale „unter den Teppich gekehrt“ werden, weil sie nicht den Interessen der Regierung entsprechen und staatliche Medien oft nicht die Form von investigativem Journalismus betreiben, wie er in vielen anderen Ländern üblich ist. Die jüngsten Ereignisse beim sogenannten Ligang-Gate haben gezeigt, dass soziale Netzwerke, Blogs und immer mehr auch die Mikroblogs derzeit in China oft einen schnelleren Zugang zu gesellschaftlich relevanten Informationen bieten als die konventionellen Medien.

Die kürzlich von einem Beijinger Sozialwissenschaftler ins Leben gerufene Online-Kampagne zur Suche nach entführten Kindern, die in einigen Fällen zum betteln gewungen wurden, hat viele Menschen auf das Problem aufmerksam werden lassen. Viele User trugen aktiv zu der Suche bei, indem sie dem Aufruf folgten und Fotos von bettelnden Kindern auf der Mikroblog-Seite veröffentlichten. Diese Suche führte tatsächlich zu Ergebnissen und mindestens ein Vater konnte seinen entführten Sohn wieder in die Arme schließen. Der wahrscheinlich jedoch viel größere Erfolg dieser Aktion ist jedoch, dass sich die chinesische Öffentlichkeit mit diesem wichtigen Thema beschäftigt. Kinder, die von skrupellosen Erwachsenen zum Betteln missbraucht werden, sind in chinesischen Großstädten eine erschreckende Realität. Und nur eine möglichst breite gesellschaftliche Diskussion wird Wege finden können, diesen Kindern auch langfristig zu helfen.

Die alternativen Informationskanäle bergen jedoch auch Gefahren. Die Anonymität und Flüchtigkeit des Mediums Internet hat wie überall auf der Welt auch in China zur Folge, dass auch Unwahrheiten und Gerüchte sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Ein Beispiel aus der jüngeren Zeit ist ein Ereignis, das als „Jin Yong wurde verstorben“ (金庸 “被辞世”) in den Wortschatz der chinesischen Internetgemeinschaft Eingang gefunden hat. Im letzen Dezember verbreitete sich eines Nachts ein Gerücht, das schon am nächsten Morgen die Vögel von den Dächern zwitscherten: „Jin Yong, geboren am 22. März 1924, verstarb am 6. Dezember um 19.07 Uhr in einem Hongkonger Krankenhaus.“ Während einige Mikroblogger den Wahrheitsgehalt der Nachricht anzweifelten, schrieben andere bereits die ersten Nachrufe auf Jin Yong, den Schöpfer der klassischen Kungfu-Literatur. Und Meister Jin selbst? Der war weder tot, noch hatte er die Chance, zu der Nachricht von seinem plötzlichen Ableben eine angemessene Stellungnahme abzugeben.

Zusatz (27.05.2011, 13.53 GMT+8, korrigiert 27.05.2011, 20.50 GMT+8 )

Ich muss allerdings zu meiner Schande eingestehen, dass ich bisher keine Versuche unternommen habe, diese Variante der Geschichte zu überprüfen. Mir fehlt als Blogger einfach die Zeit. Ob Jin Yong gestorben ist oder nicht? Ich weiß es einfach nicht. In einem Vortrag, den ich im German Center, Beijing von der Vize-Präsindetin Yu Wei (于威) des chinesischen Online Big-Players sohu.com gehört habe, habe ich erfahren, dass viele chinesische Online-Medien für ihre Nachrichtenagebote wohl bald ganz auf Journalisten verzichten werden und stattdessen die User durch Mikroblogs die Nachrichten selbst generieren sollen. Das halte ich für eine schlechte Idee. Wenn man nicht die Gerüchteküche, die Anschuldigungen, die Propagenda und den ganzen anderen Unsinn im Internet ganz klar und eindeutig von den verifizierten Nachrichten trennt, dann sind das natürlich keine Nachrichten. (Wenn man den Lesern klar macht, dass die zusammengestellten Informationen keinen Anpruch auf Korrektheit haben, dann ist das OK. Ob man damit seine Marke als „Portal“ gegen die Konkurrenz behauptet kann, ist allerdings zweifelhaft)

Diese Idee von sohu.com ist sogar noch schlechter als der Trend, in Deutschland die Inhalte zu immer größeren Teilen ungeprüft von Nachrichtenagenturen zu übernehmen. Der Journalist muss in Zeiten, in denen die Medienproduktionsmittel ohnenhin in den Händen des Volkes sind, eine ganz andere Rolle einnehmen als früher. Als der Buchdruck erfunden wurde, hat der Kantor seine Predigerrolle eingebuesst – zu Recht. Und heute, wo der Zugang zur Produktion und Rezeption von Medien auf der ganzen Welt frei ist/sein wird, sind die Ansprüche an den Informationsgehalt von Nachrichten deutlich gestiegen. Diese Ansprüche müssen erfüllt werden, weil der Journalismus sich sonst auf lange Sicht womöglich selbst abschafft. Der Kapitän im Meer der Informationen ist gefragt. Und das mehr denn je. Für alles andere werden die Leute in einigen Jahren wahrscheinlich kein Geld mehr aus geben.

Ameisenleben

Früher in den sechziger und siebziger Jahren, vor der Reform- und Öffnungspolitik, als nur wenige Menschen aus dem Westen die Gelegenheit hatten, in die Volksrepublik zu reisen, um über das kommunistische Land im fernen Osten zu berichten, da trugen viele Menschen in China den gleichen, blauen Arbeitsanzug. Die uniformierten Arbeiterbrigaden waren ein ungewohnter Anblick für die Besucher in einer Zeit, in der der Westen die Individualität immer weiter ins Zentrum der gesellschaftlichen Maßstäbe setzte. Die Arbeiter wurden wegen ihrer Eigenschaft in Massen aufzutreten, ihrer Gleichförmigkeit und wahrscheinlich auch wegen ihres unermüdlichen Einsatzes im Westen manchmal als „Blaue Ameisen“ bezeichnet.

Die blauen Ameisen sind ausgestorben. Auf den Straßen von Shanghai, Peking und den anderen Millionenstädten ist die Einheitskleidung verschwunden. Stattdessen sieht man immer mehr Designer- und Markenkleidung. Aber der Begriff der „Ameise“ ist zurückgekehrt. Auch heute gibt es in China wieder Menschen, die als Ameisen bezeichnet werden. Dieses Mal jedoch sind sie es selbst, die sich diesen Namen gegeben haben. Die jungen Chinesen, die aus kleineren Städten oder vom Land zum Studieren in die Metropolen gekommen sind und nach dem Studium noch nicht genug verdienen, um sich einen eigene Wohnung leisten zu können, die nennen sich selbst Yizu (蚁族), die Klasse der Ameisen.

Und diese Klasse der Ameisen, die mit zehn oder noch mehr Mitbewohnern zusammen in kleinen Wohnungen am Stadtrand wohnen, wird immer größer. Gründe dafür gibt es viele: die im ganzen Land immer noch stark zunehmende Urbanisierung, die Reform des Bildungssystems, die zu einer rasant gestiegenen Zahl an Universitätsabsolventen geführt hat und natürlich die explodierenden Wohnungspreise in den großen Städten. Der Wissenschaftler LIAN Si (廉思) hat über diese neue Klasse der Ameisen ein viel diskutiertes Buch veröffentlicht, in dem er die Situation analysiert.

Ein entscheidender Grund für das Entstehen dieses sozialen Phänomens ist, dass der Lebensstandard in den meisten kleineren Städten und Regionen nicht annähernd an die großen Metropolen heranreicht. In vielen Gegenden ist noch immer sehr wenig davon zu spüren, dass China auf dem Weg ist, eine Welt- oder sogar Supermacht zu werden. Die großen politischen und wirtschaftlichen Zentren, allen voran natürlich Peking und Shanghai, haben die anderen Regionen in ihrer Entwicklung weit hinter sich gelassen. Sie üben eine große Anziehungskraft auf die jungen, ambitionierten Chinesen aus. Fast jeder, der etwas aus seinem Leben machen möchte, zieht in die Metropolen, in denen es allerdings schon längst nicht mehr genügend Arbeitsplätze gibt. Der Konkurrenzdruck ist gewaltig. Schon in der Schule lernen viele Schüler besonders fleißig für die nationale Hochschulaufnahmeprüfung „Gaokao (高考)“, um einen Studienplatz an einer guten Universität in Peking oder Shanghai zu ergattern. Und nach dem Studium wollen sie dann meist nicht wieder in ihren rückständigen Heimatort zurück. Sie wollen unbedingt irgendwie teilhaben am Boom der Metropolen. Das führt natürlich auch dazu, dass in den kleineren Städten die gut ausgebildeten Absolventen fehlen, die für das Wirtschaftswachstum dringend gebraucht würden – ein Teufelskreis.
Diese jungen Menschen fühlen sich wie Ameisen – klein und unbedeutend. Sie arbeiten sehr viel, wohnen gemeinsam in einfachen Behausungen und werden von anderen, größeren Tieren meist kaum beachtet. Ameisen sind schwach, nur in der Gruppe sind sie stark.

Aber die Ameisen zählen im Reich der Insekten auch zu den intelligentesten Tieren. Sie arbeiten unermüdlich und geben niemals auf. Und so sehen sich die Angehörigen dieser Klasse auch selbst. Denn wenngleich das Leben der Ameisen manchmal nicht leicht ist, so glauben viele von ihnen doch daran, dass es sich für sie lohnen wird. Die meisten Angehörigen der Ameisenklasse sind zwar mit ihrer derzeitigen Lebenssituation nicht zufrieden. Sie glauben aber fest daran, dass auch sie eines Tages vom Goldrausch der Metropolen profitieren werden.

Mein Vater ist Li Gang

Mein Vater ist Li Gang (我爸是李刚). Diesen Satz soll ein junger Mann gesagt haben und er hat damit den Hass und die Verachtung einer ganzen Nation auf sich gezogen. Aber was ist denn so schlimm daran, wenn jemand sagt, wer sein Vater ist? Jeder Mensch hat einen Vater und jeder Vater hat einen Namen. Wie kann es denn also sein, dass jemand nur mit der Nennung des Namens seines Vaters die Empörung eines ganzen Landes auf sich zieht?
Weiterlesen