Das göttliche Lied

Das göttliche Lied wurde von einem Deutschen geschrieben. Es stammt aus der Feder des bis vor kurzem nur in Insider-Kreisen bekannten, deutschen Komponisten Robert Zollitsch. Er ist in München geboren und hat schon in seiner Kindheit seine Liebe zur Musik entdeckt – beim Spielen der Zitter, einem traditionellen deutschen Instrument. Nach einem Musik-Studium in Berlin erhielt er ein Stipendium, um in Shanghai sein Wissen in der traditionellen chinesischen Musik zu vertiefen und die Kunst der Guqin (古琴) zu erlernen.

Die Guqin ist ein klassisches Saiten-Instrument, das der bayerischen Zitter nicht ganz unähnlich ist. Heute ist Robert Zollitsch mit der chinesischen Volkslied-Sängerin Gong Linna (龚琳娜) verheiratet. Mit ihr zusammen hat er zwei Kinder und lebt als Komponist und Produzent in Peking. Er hat sich den chinesischen Namen Lao Luo (老锣) gegeben und verschiedene Alben mit chinesischen Sängern aufgenommen, unter anderem mit seiner Frau. Seine Kompositionen mischen oft verschiedenen Stile miteinander und verbinden traditionelle chinesische Klänge mit westlicher Musik. In vielen seiner Lieder spielt die chinesische Kultur eine wichtige Rolle. Das Lied Jing Ye Si (静夜思) beispielsweise ist eine Vertonung eines Gedichtes des Meisters der Tang-Lyrik Li Bai (李白).





Nun ist die Art von Musik, die Robert Zollitsch und seine Frau machen, eigentlich nicht die Musik, für die sich junge Menschen in China sonderlich interessieren. Traditionelle Klänge hört man zwar bei sehr vielen Anlässen und die Chinesen identifizieren sich trotz der immer moderneren und westlich orientierten Lebenswelt noch immer sehr stark mit ihrer eigenen Geschichte. Aber Chinas Jugend begeistert sich wie die Jugend in den meisten Ländern der Welt eher für die Erzeugnisse der Popmusik, als für den Klang von altertümlichen Saiteninstrumenten.

Doch dann schrieb Robert Zollitsch für seine Frau ein Lied , dem eine Aufmerksamkeit zuteil wurde, wie sonst wohl nur den neuesten Produktionen von Lady Gaga oder S.H.E: Er schrieb das göttliche Lied (神曲). Diese Lied heißt eigentlich Tan Te (忐忑), was so viel wie “in Aufruhr” bedeutet. Die Millionen Internet-Nutzern, die sich die Darbietung von Gong Linna auf Video-Seiten wie tudou.com oder youku.com ansahen, hielten die Klänge jedoch offensichtlich für überirdischen Ursprungs und nannten sie „göttliches Lied“. Denn als ein Video ihrer Darbietung im November 2010 auf diesen Seiten landete, konnten sich die chinesischen Netizens kaum an der teilweise sehr komisch wirkenden Sangeskunst satt sehen. Auch die wunderliche Gesichtsakrobatik von Gong Linna versetzte die Chinesen in staunende Verwunderung.





Inzwischen haben allein auf der Videoplattform tudou.com über vier Millionen User den Spot angesehen. Das Besondere an dem Lied ist zum einen, dass auf einen Text vezichtet wurde. Stattdessen singt Gong Linna eine Anzahl variierender Laute, die selbst für Liebhaber der Peking Oper oft schrill und sonderbar klingen. Hinzu kommt, dass der Rhythmus dieses Liedes immer wieder wechselt. Viele bekannte Sänger in China gaben an, dass sie niemals im Stande wären, dieses Lied zu singen. Einfach zu verschroben war das, was der Deutsche und die Chinesin sich da zusammen ausgedacht haben. Und auch wenn das Lied ursprünglich ernst gemeint war, so liebte die Internetgemeinde daran vor allem das Schräge, das Verrückte. Das göttliche Lied ist irgendwie nicht von dieser Welt.





Im Laufe der nächsten Monate wurde Gong Linna durch das göttliche Lied in China zu einer Berühmtheit und immer mehr Menschen versuchten sich an einer Interpretation der heiligen Klänge. Eine ganze Welle von Adaptionen entstand und noch immer werden neue Versionen dieses seltsamen Liedes auf den Videoportalen hochgeladen.





Eine erwähnenswerte Anekdote am Rande ist die Tatsache, dass das göttliche Lied das einzige Musikstück ist, das jemals vom Chinesischen Basketball Bund (CBA) offiziell verboten wurde. Denn nachdem die verstörende Wirkung dieses Liedes bekannt wurde, begannen einige Teams, die Angriffe der gegnerischen Mannschaft mit den Klängen von Gong Linna zu untermalen. Die seltsamen Rhythmen und Klänge irritierten einige Spieler so sehr, dass sie den Korb nicht mehr trafen und sich später bei den Liga-Verantwortlichen beschwerten. Die hatten ein einsehen und setzten das Lied auf den Basketball-Index.

Und hier für Fans: Die Zugabe. Gong Linna mit ihrem Mann Robert Zollitsch bei einer Talkshow.