Es gibt Dinge, Bilder, Nachrichten, die sind ein Zeichen, das man nicht übersehen kann. Dieses Zeichen ist grausam. Ich hoffe mit den Eltern, dass Yueyue, das kleine Mädchen aus Foshan wieder gesund wird.
Die chinesische Gesellschaft hat ein großes Problem. Und dieses Problem ist die Rechtsunsicherheit. Wenn ein 2-jähriges Kind von einem Lastwagen überfahren wird, 18 Menschen vorbeigehen und niemand hilft, bis es schließlich ein zweites mal überrollt wird, dann ist das eine unmenschliche Handlung, die nur sehr schwer rationell erklärbar ist. Warum sehen so viele Menschen in China einfach weg? Sind sie kaltherzig?
Vielleicht. Vielleicht haben sie aber auch eine tiefsitzende Angst, die sie daran hindert, zu helfen. Viele Chinesen haben Angst sich einzumischen, weil das Rechtssystem in China nicht konsequent genug auf der Unschuldsvermutung beruht. Sie glauben, ein verletztes Kind könnte einem zur Last gelegt werden, wenn man in ein kompliziertes Geschehen wie einen Unfall involviert ist. Laut chinasmack.com wurde 2006 in Nanjing ein Mann verurteilt, der einer verletzten Frau geholfen hat. Ob diese Geschichte sich wirklich so zugetragen hat, ist kaum nachvollziehbar. Aber sie spiegelt doch mit Sicherheit die Erfahrungen und Ängste der Chinesen wider.
Das Ignorieren des Leides hat nichts mit kulturellen Eigenheiten zu tun, sondern mit einem durch langjährige Erfahrung antrainierten Misstrauen gegenüber der Objektivität von Entscheidungsinstanzen. Solange es in China zu wenige gut ausgebildete und unabhängige Richter gibt, die nur dann jemanden verurteilen, wenn dessen Schuld zweifelsfrei bewiesen ist, werden vielen Menschen sich fürchten. Und wer die deutsche Geschichte kennt, der weiß, dass es mit Sicherheit kein kulturelles Phänomen ist, die Augen vor dem Schrecken und Leid zu verschließen.
Die Nutzer von Weibo verschließen ihre Augen nicht. Sie sehen sich geschockt und betroffen die Bilder an, die Sina auf seinem offiziellen Video-Tweet zeigt (Warnung: dem Link folgt das schockierende Video), und kommentieren zu Tausenden das schreckliche Ereignis.