Himmel Acht (S1E1)

Frank Struck sah aus dem Fenster.

„Nanu“, dachte er. „Ich bin ja wirklich kein Experte für Luftfahrtsicherheit. Nein, ganz und gar nicht. Aber es kommt mir irgendwie, nun ja, ungewöhnlich vor, dass dieses andere Flugzeug da jetzt genau auf uns zufliegt.“

Frank befand, dass es wohl das Beste wäre, wenn er die Flugbegleiterin rufen würde, um sie zu fragen, ob das soweit in Ordnung sei, das mit dem anderen Flugzeug vor seinem Fenster. Als er aber auf den roten Service-Knopf an der Kabinendecke über seinem Sitz drücken wollte, musste er feststellen, dass dieser Knopf ebenso wie die Kabinendecke nicht mehr da war. Auch der Rest der Boeing 747 der Haibei Airlines hatte sich im Vergleich zum ursprünglichen Zustand stark verändert. Dort, wo eben noch das Cockpit war, klaffte ein beachtliches Loch. Wolkenfetzen tanzten. Die erste Klasse hatte sich in einen Feuerball verwandelt und auch in der Economy-Class war das Thema Beinfreiheit nun ganz anders zu verstehen, als noch vor wenigen Millisekunden.

„Oh Mann“, Frank war nicht ohnehin gerade in bester Laune. Die Dienstreise fand in einer Woche statt, in der der Tatort aus Münster kam. Da machte man doch keine Reisen. Das nahm er seinem Chef fast schon persönlich übel. Der Blick aus dem Fenster trug nicht gerade zur Aufhellung seiner Stimmung bei. „Das ist insgesamt aber schon recht ärgerlich. Mhhhm!“

Dann wurde es dunkel. Sehr dunkel. So dunkel, dass Frank begann, in seinen Taschen nach einem Feuerzeug zu suchen, obwohl er gar nicht rauchte und es auch nie wagen würde, explosive Flüssigkeiten an Bord eines Flugzeugs zu schmuggeln. Aber war er überhaupt noch in einem Flugzeug? Es erschien ihm aufgrund der vorausgegangenen Ereignisse inzwischen weitgehend unwahrscheinlich.

Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis, die immer noch sehr finster war, sich aber jetzt soweit aufhellte, um zu erkennen, dass sein Aufenthaltsort eine Art Tunnel zu sein schien. Ein ziemlich langer Tunnel, an dessen Ende ein ungewöhnlich helles und freundliches Licht schimmerte, das auf eine seltsame Art und Weise vertraut schien.
„Na, immerhin“, seine Laune besserte sich doch ein wenig und er machte sich auf den Weg.

Kurz vor Ende des Tunnels hörte Frank laute und aufgeregte Stimmen. Sehr betriebsam ging es dort zu, wo der Tunnel endete. Und als er schließlich vorsichtig den ersten Schritt wagte, wunderte sich Frank, der sonst eigentlich nur Weniges befremdlich fand, doch ein wenig. Eine riesige Halle tat sich vor ihm auf. Eine Halle so groß wie eine Stadt. Eine goldene Kuppel, die am Horizont zu enden schien, überspannte einen gigantischen Terminal. Überall liefen Menschen aufgeregt durch die Gegend und sammelten sich vor haushohen Anzeigetafeln, auf denen Informationen in allen Sprachen der Welt aufflackerten. Die Halle war vollgestopft mit Info-Ständen, an denen die Menschen diskutierten. Die meisten blätterten in Hochglanzbroschüren und nickten fröhlich. Einige stießen sich gegenseitig mit den Ellenbogen in die Rippen und grinsten vor Vergnügen. Andere wiederum wirkten erschrocken und wiesen die vielen Faltblätter, die man ihnen reichte, empört zurück. Die Abfertigungsschalter, die wie an einer gigantischen Perlenschnur vom einem nicht erkennbaren Ende der Halle zum anderen aufgereiht waren, schienen der Mittelpunkt des ganzen Durcheinanders zu sein. Vor ihnen hatten sich lange Schlangen gebildet.

Frank sah sich das Treiben eine Weile etwas nachdenklich an. Dann beschloss er, dass er genug gesehen hatte und wählte den Schalter, bei dem es am schnellsten gehen würde. Das Verhältnis zwischen Schlangenlänge und Geschwindigkeit des Service-Angestellten war an Nummer 8427 am günstigsten. Frank wusste so etwas und er sah keinen Grund, sich von alten Angewohnheiten zu trennen. Auch dieses Mal lag er richtig und es dauerte keine fünf Minuten, da hatte der genervt wirkende Mann die sieben Inder, fünf Afrikaner und zwei Inuit-Damen vor ihm durch die Schleuse gescheucht.

„Wellkom to se Häwen“, nuschelte er. „Nummer?“
„1200933892“, sagte Frank, der nie eine Nummer vergaß.
Mürrisch tippte der Schaltermann auf seinem Computer herum.
Dann blickte er auf. Er sah Frank fragend an.
„Lesbische Veganer? Ist das korrekt so?“
„Wie bitte?“

Der Mann am Schalter bequemte sich einer Auskunft.

„Also gut. Entweder wirken Sie tatsächlich recht männlich, oder Sie fühlen sich in Gegenwart von lesbischen Veganerinnen ausgesprochen wohl, was ich beides nicht ausschließen möchte, aber für eher unwahrscheinlich halte, oder – und das wird die wahrscheinlichste Variante sein – Sie haben sich trotz der nicht zu überhörenden Durchsagen in sämtlichen Sprachen dieser Welt und den insgesamt siebentausendsechshundert Infoständen weder beraten lassen noch den Testfragebogen zu Ihren persönlichen Vorlieben ausgefüllt.“

Der Schaltermann holte Luft.

„Dann wäre 1200933892 sehr wahrscheinlich Ihre unter den augenblicklichen Umständen vollkommen nutzlose Passnummer.“
„Wie bitte?“
Frank spulte zurück, verstand zwar nur kleinen einen Teil von dem, was er gehört hatte, befand aber, dass der Mann irgendwo recht hatte.
„Ja“, sagte Frank.
„Würden Sie dann bitte so freundlich sein und mir entweder ihre vorläufige Himmelsidentifikationsnummer kurz H.I.N. sagen, oder mir wenigstens in etwa mitteilen, wohin die Reise gehen soll, damit ich Sie entsprechend zuweisen kann. Sie halten die Betrieb auf“
„China. Ursprünglich wollte ich beruflich nach China. Ich sollte dort eine Etikettenfabrik begutachten, Etiketten und Aufkleber von Hollerbach-Print. Hollerbach-Print. Die mit dem kleinen Teufelchen als Markenzeichen,“ Frank stockte. „Ist ja auch eigentlich egal, warum. Auf jeden Fall muss ich jetzt dringend nach China.“
„China? Na, also. Warum denn nicht gleich so?“, murmelte der Mann. „Das wäre dann der Himmel Acht.“
„Himmel Acht?“
„Himmel Acht.“
„Also, ich weiß ja nicht.“
„Wenn Sie Bedenken haben…. Da wäre noch Himmel 7526. Mögen Sie Seegurken?“
„Ich glaube nicht“, sagte Frank.
„Dann würde ich Ihnen eher abraten. Da fahren Sie mit Himmel Acht immer noch am besten.“
„Meinen Sie?“
„Ja, sicher“, sagte der Schaltermann. „Himmel Acht ist einer der beliebtesten Himmel überhaupt. Die letzte Erhebung hat ergeben, dass etwa jeder siebte Himmelsreisende diese Wahl trifft.“
„So?“
„Ja.“
„Aha.“
„Na, geht doch. Ich habe Sie entsprechend Ihren Wünschen bereits zugewiesen. Bitte treten Sie einen Schritt vor und sehen in die Kamera. Lächeln! Fantastisch. Danke. Gate 1289, der Transfer-Shuttle geht in vierzehn Minuten. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Weiterreise und einen wunderschönen Aufenthalt in der Ewigkeit.“
„Danke“, sagte Frank und folgte den blinkenden Pfeilen, die zu seinen Füßen erschienen und ihn zu einer gläsernen Rolltreppe führten, an deren Ende sich die Türen einer weißen Shuttlefähre öffneten und mit einem krachenden Geräusch hinter ihm schlossen.

– to be continued –

Bildquelle: beeveephoto, Flickr, (CC BY-SA 2.0), bearbeitet

Journalismus, Objektivität und die neue Ehrlichkeit

Die Huffington Post ist seit ein paar Tagen in Deutschland angekommen und dieses etwas unglücklich mit dem Focus-Magazin und Cherno Jobatey gestartete Projekt ruft die ersten Reaktionen zur neuen Kostenloskultur hervor. Die einen finden den Ansatz gut und für die anderen ist er ein rotes Tuch. Ich denke, es ist gut, dass endlich etwas passiert. Die deutsche Digitalkultur ist in ihrer schriftlichen Form ein Niemandsland, bevölkert von monolithischen Papierzeitunternehmungen, ein paar erfolgreichen Tech-Bloggern, Satirikern und einigen mutigen Pionieren. Mal sehen, ob sich daran nicht doch irgendwann etwas ändert. Hier meine Gedanken zum Thema:

Manchmal regt mich etwas wahnsinnig, oder ich finde etwas paradox, fantastisch, oder unfassbar intelligent gemacht. Hin und wieder habe ich auch etwas zu sagen. Und manchmal habe ich den Wunsch es niederzuschreiben, damit andere es lesen können. In meiner Schulzeit habe ich einmal einen Kommentar in der Schülerzeitung veröffentlicht, in dem es darum ging, dass Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt werden sollte. Ich fand die Vorstellung, dass bis dahin die Vergewaltigung der eigenen Ehefrau straffrei bleiben konnte, so absonderlich, als würde man darüber diskutieren, ob Raubmord unter Halb-Schwestern gesetzeswidrig ist. Ich war kein Mitglied der Redaktion der Schülerzeitung, aber ich habe dort einfach diesen Text abgegeben und mich darüber gefreut, dass ihn jemand gelesen hat.

Später wollte ich Journalist werden und ging die Sache mit einer freien Mitarbeit für das Anzeigenblatt „Hallo Stormarn“ an. Gleich am ersten Tag wurde ich beauftragt, über die ADAC-Pannenhilfe eines Auto-Händlers im Nachbardorf zu schreiben. „Nanu“, dachte ich mir „Das ist doch gar kein Thema. Was ist denn daran journalistisch interessant?“ Der Autohändler wollte partout nicht interviewt werden und ich hatte eigentlich nicht vor, ihn davon zu überzeugen, dass seine ADAC-Hilfe ein Thema von öffentlichem Interesse war. Aber der Chefredakteur behauptete, ich müsse als Journalist Hartnäckigkeit zeigen und er würde den Autohändler auch noch einmal anrufen und auf diese tolle Methode der Öffentlichkeitsarbeit hinweisen. Und später könnte der ja vielleicht auch einmal eine vergünstigte Anzeige bei „Hallo Stormarn“ schalten.

Natürlich gibt es überall in den herkömmlichen Medien, auch bei Anzeigenblättern und lokalen Fernsehstationen Menschen, die etwas zu sagen haben. Aber man darf doch nicht vergessen, dass der größte Teil der Medieninstitutionen wirtschaftlichen Zwecken untergeordnet ist und nur sekundär dem Wohle der Gesellschaft dient. Erst kommt der Verkauf und dann kommt die Botschaft. Im meinem Publizistikstudium habe ich darüber nicht viel erfahren und wenn Journalisten ihren Beruf beschreiben, dann schwingt oft sehr viel Pathos mit – als wäre die mediale Kommunikation nicht maßgeblich durch interessengeleitete Informationsvermittlung bestimmt. Wer ehrlich ist, muss aber doch sehen, dass Aufklärung, Ermöglichung der unvoreingenommenen Meinungsbildung, oder gar Objektivität im derzeitigen Mediensystem nur zu oft in den Hintergrund treten, weil viele Botschaften sich einfach nicht gut verkaufen lassen. Ich habe mich in der letzten Zeit viel mit der journalistischen Berichterstattung über China beschäftigt. Die Themenauswahl, der Blickwinkel und die Aufbereitung orientieren sich vor allem daran, was die Rezipienten in Deutschland aufnehmen können, was in ihr Weltbild integrierbar ist oder was sie schockierend finden. Mit einer objektiven Abbildung der chinesischen Realität hat diese Informationsselektion und –vermittlung nur sehr wenig zu tun. Viele spannende Ereignisse und gesellschaftliche Veränderungen in China haben in Deutschland leider den Informationswert des sprichwörtlichen Sacks Reis.

Das Zeitalter der Vielstimmigkeit

Die meisten Menschen haben von den meisten Dingen nur sehr wenig Ahnung. Von einigen, wenigen Dingen verstehen sie hingegen sehr viel. Dieses Wissen lässt sich aber leider so gut wie nie vermitteln, geschweige denn verkaufen, weil fast niemand versteht, was daran denn nun interessant ist. Wir sind alle Experten in irgendetwas und es ist schon lange an der Zeit, dieses Wissen konsequent gesellschaftlich zu nutzen, anstatt die medialen Kanäle der Kaste der zunehmend aufmerksamkeitsfokussierten Journalisten, Politiker und PR-Fachleute zu überlassen. Es beginnt das Zeitalter der Vielstimmigkeit, in dem es zu jedem Artikel einen Kommentator gibt, der über das Thema des Artikels weit mehr weiß als der Autor selbst. Dieses Wissen muss dann eigentlich nur noch aus den herkömmlichen publizistischen Verwertungszusammenhängen befreit und lesergerecht aufbereitet werden.

In der letzten Zeit wurde viel über die „Neue Ehrlichkeit“ geschrieben, das von David Foster Wallace proklamierte Ende der Ironie, die neue Art, es ernst zu meinen mit dem, was man schreibt. Ich denke, dass ein Format wie die „Huffington Post“ ein Weg sein kann, auf dem interessante Menschen die Chance bekommen, gehört zu werden. Geld spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Informationen waren bis zum Aufkommen des gedruckten Wortes weitestgehend kostenlos. Das heißt nicht, dass es sich nicht gelohnt hat, anderen Menschen etwas mitzuteilen, das für sie nutzbringend war. Wer einen privilegierten Zugriff auf Informationen hatte, oder mit Fachwissen in einem bestimmten Gebiet aufwarten konnte, war gefragt. Aber man war nicht darauf angewiesen, mit der Tür ins Haus zu fallen; man musste keinen Redakteur überzeugen, dass ein Text sein Geld auch Wert ist.

Menschen beteiligen sich an Diskussionen und vertreten ihren Standpunkt. Wenn Sie langfristig Recht behalten, anderen gedanklich voraus sind, hört man ihnen zu, man „kauft es ihnen ab“. Jeder Text, jeder Standpunkt ist Werbung für den Autoren, für das, was er macht, wie er arbeitet und worüber er Bescheid weiß. Seit durch die Digitalisierung das gedruckte Wort keine Produktionkosten mehr verursacht, es also vollkommen kostenlos unters Volk gebracht werden kann, wird sich auch das mediale System daran orientieren müssen.

Es wird sich daher auch in Deutschland ein Format etablieren, in dem Menschen sich auf dem Marktplatz der Informationen positionieren, ohne dafür direkt bezahlt zu werden. Ob die deutsche „Huffington Post“ es schaffen wird, oder ob aus Projekten wie carta.info oder theeuropean.de eine solche deutschlandweit bekannte Plattform hervorgehen wird, das weiß ich nicht. Der Untergang des Journalismus wird es jedenfalls nicht sein – eher der Sargnagel für einen Journalismus, der nicht ehrlich ist und der noch immer glaubt, von einem Standpunkt aus schreiben zu können, der die Vielstimmigkeit und Komplexität der Wirklichkeit ignoriert, nur um das letzte Wort zu haben.

Neues vom Planeten Weibo: Die Ente bleibt draußen

Am vierundzwanzigsten Jahrestag des Tiananmen-Massakers haben sich die chinesischen Zensoren besondere Mühe gegeben, dass nun bloß keiner daran denkt, oder über das Thema diskutiert oder vielleicht sogar um die damals Gestorbenen trauert. Ich kann ja durchaus nachvollziehen, dass nicht alle Chinesen an der Aufarbeitung dieser schrecklichen Ereignisse interessiert sind. Aber wie gestört muss jemand sein, der vorsorglich die Emoticon-Kerzen eliminiert, mit denen man sonst auf Weibo Trauer ausdrückt? Li Kaifu, dem derzeit fast 43 Millionen User folgen, hat das folgendermaßen kommentiert:

基于昨日大火,新浪今日收走了所有可能燃烧的表情。安全第一,谢谢新浪!
Wegen des großen Feuers gestern* hat Sina beschlossen, alle brennbaren Emoticons zu entfernen. Sicherheit geht vor, danke Sina!

Irgendjemand kam dann auf die Idee, das Gummi-Enten-Mem, das seit ein paar Wochen durch die sozialen Netzwerke schippert, mit dem Tank Man von 1989 zu kombinieren. Und was machen daraufhin die professionellen Zensurprofis der chinesischen Regierung? Sie sperren den Suchbegriff „Gummi-Ente“. Diese Art der Zensur ist in etwa so effektiv wie die Aufforderung, jetzt bitte nicht an einen Elefanten zu denken.

Lu Xun soll geschrieben haben, dass Lügen aus Tinte niemals Wahrheiten aus Blut auslöschen können. In Zeiten, in denen alle Tintenfässer dieser Welt, alle Druckerpressen dieses Universums nicht mehr vermögen als ein handelsübliches Smartphone, sollte man doch meinen, die chinesische Regierung würde etwas weniger idiotisch auf die neue Herausforderung reagieren. Tut sie aber nicht.

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*offensichtlich eine Anspielung auf den verheerenden Goßbrand in einem fleischverarbeitenden Betrieb am 3.Juni 2013

Die Popkultur als Brücke zwischen Ost und West

Der US-Chinesische Pop-Superstar Wang Lihong hat eine beeindruckende Rede an der Oxford-Universität gehalten. Er hält Softpower für eine Form des Geschichtenerzählens, die es schafft, dass man sich für etwas begeistern kann. Popkultur könne die Wände zwischen den Kulturen einreißen und uns zeigen, dass wir auch über Grenzen hinweg viel mehr Gemeinsamkeiten haben als Unterschiede. Die globalisierte Pop-Welt könne dazu beitragen, uralte Stereotype zu beseitigen. Im globalen Dorf sind wir alle Mitbewohner, die sich besser kennen lernen sollten. Regierung, Nationalitäten, Rassen, all das sind nur artifizielle Abgrenzungen, die uns davon abhalten, einander besser kennenzulernen.

Und um den Langnasen den Zugang zur chinesischen Popmusik zu erleichtern, hat er ein Mixtape mit Liedern, die er liebt, zusammengestellt.

Das Mixtape findet man hier.

Die Drahtpenismänner

Eigentlich wollte ich ja im Moment nicht mehr so viel zum Thema „China“ bloggen, nun kann man aber einige Sachen auch nicht einfach für sich behalten, oder? Herr Poettgen von Stimmen aus China war zum Beispiel so freundlich, mich mit einem Artikel auf die chinesische Version von „Knallerfrauen“ aufmerksam zu machen. Der  epochemachende Erfolg der deutschen Comedy-Serie „Knallerfrauen“, die in chinesischen sozialen Netzwerken und auf Video-Plattformen geteilt wurde, war nicht zu übersehen. Schon Christian Y. Schmidt hat sich einst an einer Übersetzung des Titels versucht und ist bei „Drahtpenisfrauen“ gelandet. Das ist etymologisch zwar mehr als zweifelhaft, trifft aber eine ganze Reihe der Konnotationen des chinesischen Modewortes und Internetphänomens „Diaosi“ sehr gut. Die chinesische Fassung der „Drahtpenisfrauen“ hingegen war mir bisher unbekannt. Eine Fassung mit deutschen Untertiteln ist bereits bei Youtube gelandet (weil ich urheberrechtliche Bedenken habe, dazu nur ein Link und kein eingebettetes Video)

„Stimmen aus China“ hat ein Interview mit dem Schauspieler Dong Chengpeng geführt, das ich hier mit dem größten Vergnügen teile. Sehr schön. Auch die Aussprache.

Neues vom Planeten Weibo: Mike Sui

Mike Sui hat etwas geschafft. Er hat den unendlich langweiligen, nicht unsympathischen, aber komplett selbstironie- und humorbefreiten Mark Rowswell, besser bekannt als Da Shan, von seinem Thron gestoßen. Rowswell war der chinesische Medien-Ausländer der Fernsehgeneration, der mit seiner fehlerfreien Aussprache des Hochchinesischen das Bild des gebildeten China-Verstehers aus dem Westen definierte.

Aber Da Shan war in seiner Art auch immer sehr angepasst, sehr stark darauf bedacht, den richtigen Ton zu treffen. Sonst hätte man ihn auch sicher nicht ins chinesische Fernsehen gelassen. Da Shan ist out. Und der Ausländer, dem in China jetzt die Herzen zufliegen, ist im Grunde gar kein Ausländer. Sein Vater ist Chinese, seine Mutter US-Bürgerin und auf den ersten Blick würde man ihn eher für einen Kirgisen oder vielleicht für einen Israeli halten.

Aufgewachsen ist Mike Sui irgendwo zwischen der Idylle Wisconsins und den brodelnden Beijinger Hutongs. Chinesisch ist im wahrsten Sinne sein Muttersprache. Als Kind war er einmal mit einem übergewichtigen Bekannten seiner Mutter in Beijing unterwegs, so erzählt er es in einem Interview. Und er hörte wie zwei Chinesen miteinander sprachen: „Guck mal, der Ausländer da. Der ist aber dick und hässlich. Aber dieser kleine Ausländer, der ist eigentlich ganz süß.“ Mike Sui ist damals zu den beiden Chinesen gegangen und hat zu ihnen auf Chinesisch gesagt: „Mag sein, dass er nicht gut aussieht und etwas übergewichtig ist. Aber ihr, die ihr über ihn lästert, ihr seid wirklich hässlich und solltet euch was schämen.“

Er war wohl schon damals nicht auf den Mund gefallen. Heute begeistert er ein Millionenpublikum mit seinen Videos und ist ein Weibo-Star, der eine Community von über 500.000 Followern unterhält. Derzeit macht er jeden Monat einen Rap-Song, in dem er die Ereignisse Revue passieren lässt (März, April). Aber bekannt geworden ist er mit seiner unglaublich fantastischen Persiflage auf Ausländer und Chinesen in Beijing, die er allesamt selbst spielt. Der Olli Dittrich Chinas: Mike Sui.

Interview: Zombie-Attacke bei Weibo?

Nachdem ich mich nun so viele Jahre zu weltbewegenden Fragen in der Badewanne selbst interviewt habe, hat sich nun endlich jemand meiner erbarmt. Maximilian Kalkhof, einer der Autoren von Stimmen aus China, hat mich für das Webmagazin „Tintenkiller“ befragt. Das Interview war Teil einer Recherche zu der Frage, welchen Einfluss Sina Weibo denn tatsächlich auf die chinesische Öffentlichkeit hat. Den vollständigen Artikel „Sina Weibo – Leichen im Keller“ findet man hier. Wie immer würde ich mich über Kommentare, Meinungen und Kritik freuen.

Beep me if you can – Chinesischer Regisseur beschwert sich über die Zensur

Feng Xiaogang ist einer der wichtigsten Regisseure Chinas. Seine Filme sind oft getragen von einem humoristischen Blick auf Chinas gesellschaftliche Realität. Mit dem Publikumserfolg „If You Are The One“ (非诚勿扰) hat er einen Meilenstein geschaffen und die chinesische Romcom in die Moderne geführt. Welche Hindernisse es auf dem Weg zum erfolgreichen Filmemacher zu überwinden galt, hat er nun in seiner Rede anlässlich der Ehrung zum „Regisseur des Jahres“ der chinesischen Regisseur-Vereinigung offenbart. Die größte Qual war für ihn die Zensurbehörde, die sich immer wieder in sein Werk eingemischt hat.

Wenn man eine Anordnung erhält, ist es oft so lächerlich, dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Besonders dann, wenn man weiß, dass ein Detail gelungen ist und man gezwungen ist, dies in etwas Unsinniges zu ändern. Müssen sich die Regisseure in Hollywood so etwas gefallen lassen? Um genehmigt zu werden, muss ich meine Filme in einer Weise schneiden, die sie schlechter macht. Warum machen wir das mit? Ich glaube, der einzige Grund ist, dass wir ein Haufen Verrückter sind, die nichts aufhalten kann, Filme zu machen. (Aus Zeitgründen hier eine Übersetzung der englischen Transkription von TLN, die mit dem Original inhaltlich weitgehend übereinstimmt, jedoch im Detail vom Redetext abweicht)

Ich kann nur zu gut verstehen, was er meint. Regiearbeit besteht ja ohnehin oft aus einer Reihe von Kompromissen. Schauspieler, Produzenten und Drehbuchautoren müssen vom Regisseur überzeugt werden, damit ein Werk ensteht, das den eigenen Ansprüchen gerecht wird. Wenn dann noch eine Zensurbehörde, in der Entscheidungen getroffen werden, die jeder künstlerischen und rationalen Grundlage entbehren, darüber entscheidet, welche Themen auf welche Art und Weise behandelt werden dürfen, dann bricht das einem Regisseur mit Sicherheit das künstlerische Herz.

Zum ersten Mal hat sich ein Filmemacher öffentlich zu der chinesischen Zensur geäußert und die ungerechtfertigten Eingriffe der Instanzen der Macht in den künstlerischen Prozess beklagt. Wie grotesk und peinlich ist es, dass die Zensur es offenbar nicht lassen konnte, das Wort „Zensur“ mit einem Piep-Ton zu übertönen! Vielleicht hat JR Recht damit, dass die Außenwirkung von Repressionen den Machthabern weniger wichtig sind, als gemeinhin angenommen. Denn in einem authoritären Staat geht es meist einfach darum, Autorität unter Beweis zu stellen und Macht zu demonstrieren. Aber wie soll denn der Weg, den man eingeschlagen hat, auf diese Art und Weise weitergegangen werden? Der Weg in die rationale, erfolgsorientierte Industriegesellschaft, in der allein die Fähigkeit zur innovativen, eigenständigen Denkweise über Sieg und Niederlage entscheidet, kann nicht konsequent gegangen werden, wenn gesellschaftlich weiterhin Denkverbote akzeptiert werden.

Das ist in meinen Augen der wirkliche Hauptwiderspruch der modernen chinesischen Gesellschaft, der immer deutlicher zu Tage tritt. Wirklicher wissenschaftlicher Fortschritt, der dringend benötigt wird, um die nächste Etappe des wirtschaftlichen Aufbaus zu meistern, wird nicht erreicht werden, ohne eine grundlegende Hinterfragung von Autoritäten. Ebenso wie die Kunst kann auch die Wissenschaft nur in der Freiheit zu sich selbst finden. Gute Produkte, künstlerische wie industrielle, dürfen zwar aus Kompromissen hervorgegangen sein. Aber sie erlauben nicht, dass man im Sinne der Macht die falschen Entscheidungen trifft. Ein autoritäres System ist per Definition nicht innovativ. Je mehr Menschen sich jedoch der Innovation und damit auch dem gesellschaftlichen Fortschritt jenseits des „Blut-und-Schweiß-GDPs“ verpflichtet fühlen, desto weniger werden sie bereit sein, willkürliche Entscheidungen zu akzeptieren.

Und es hat Bing gemacht!

Hey super, die Jungs von Microsoft haben endlich den Babelfisch aus „Per Anhalter durch die Galaxis“ entwickelt. Das wurde langsam aber auch Zeit. Immer dieses öde Vokabelpauken. Wozu gibt es denn Computer?

 

Microsoft Forschungschef Rick Rashid behauptet doch ernsthaft, dass die Technik zwar noch nicht perfekt sei und es noch viel Arbeit gebe. Aber das Ganze sei doch vielversprechend und er hofft, dass wir in einigen Jahren ein System zur Verfügung haben werden, das die Sprachbarrieren beseitigen wird.

In einigen Jahren? Schon heute leistet das Übersetzungswunder Bing.com doch so fantastische Dienste in der automatischen Translation, dass die Sprachbarriere von dieser Software quasi pulverisiert wurde.

Ein kurzer Test zeigt, wie viel Sinn es macht, sich in Zeiten von Bing, Siri und Cleverbot (ein schönes Video dazu hier) auf die geistigen Leistungen von Computern zu verlassen.

Hier einige Artikel-Überschriften von tom.com:

  • 中方就日本右翼支持达赖反华提出严正交涉
  • ·日右翼公然支持达赖反华活动达赖所作所为为中国人民所不齿
  • ·十八大是如何选举中央机构的直面国企改革三大热点
  • ·姚晨17日新西兰完婚揭秘婚礼细节姚晨与亲朋好友已启程
  • ·郭富城自曝马代游真相否认求婚央视改版6主持人有节目带
  • ·中国司法整体上公正我国已建立完整困难学生资助体系
  • ·“大便弟”怪不到别人头上“晶刚”大婚谁是受益者?
  • ·范佩西因伤退出荷兰队曝梅西巴萨续约陷僵局
  • ·罗比尼奥离开米兰倒计时?国米1月将尝试回购巴神
  • ·卡扎菲美女保镖在家中身亡·日本海上自卫官半年强奸6女子

 

Und hier die Übersetzung, die Bing vorschlägt:

  • China Japan rechten Flügel unterstützt den Dalai Lama gegen China feierliche vorstellig
  • Was die Aktivitäten der japanischen rechten Flügel unterstützt offen Dalai Lama gegen China den Dalai Lama zu den Chinesen Menschen als kritikwürdig
  • 18 wie Wahl gegenüberliegende Staatsunternehmen der Zentralstelle heißen reformieren
  • Du Lala 17. Neuseeland verheiratet geheime du Lala Hochzeit Informationen mit Freunden und Familie verlassen hat, für
  • Pferd Tour mit Aaron Kwok Belüftung Wahrheit leugnen die vorgeschlagene Revision 6 Host-Programme von CCTV
  • Chinas Freiheit als eine ganze Schwierigkeiten in China hat ein komplettes System der finanziellen Unterstützung von Studenten gegründet.
  • Scheiße Bruder „Schuld auf andere ist nicht“ c – „Wer sind die Begünstigten Ehe?
  • Robin van Persie wegen Verletzung Niederlande Meixibasa sparging erneuert Pat
  • Links · Mailand, Robinho, den Countdown? Inter Januar versucht Gott BA kaufen
  • Schöne Gaddafi-Leibwächter getötet · Japan maritime Self-Defense Offizier zu Hause sechs Monate 6 Frauen vergewaltigt

Alles klar? Ich bin ganz sicher, Bing wird uns in eine bessere Welt führen, in der wir uns alle verstehen und es ist nur ein Frage der Zeit, bis Microsoft Ironie, Mehrdeutigkeiten, Wortneuschöpfungen und all die anderen feinen Nuancen der menschlichen Sprache hinfortprogrammiert hat.

Und was sagt Bing dazu? Folgendes kommt heraus, wenn man den Satz damit ins Chinesische übersetzt und dann wieder zurück ins Deutsche:

„Ich bin sicher. Bing führt uns zu einer besseren Welt, in der wir alle verstehen, und Microsoft ist nur Ironie, Mehrdeutigkeit, Word erstellt die neue und alle anderen feinen Nuancen der menschlichen Sprache Zeit wurde ins Fort programmiert.“

Ins Fort programmiert? Ja, da gehörst du auch hin, du dummes Bing, ähh Ding!

Chinabildblog: Die geschlagene Gurke und die ewige Ente

Journalisten haben es schwer. Die Welt ist groß und sie sind klein. Gerade in China, dem Land in dem eigentlich niemand genau weiß, was wirklich passiert und jeder sich aus ungesicherten und fragwürdigen Informationen die Ereignisse so gut es geht zusammenreimt, ist es keine einfache Aufgabe, einen Job auszuüben, bei dem es auf Objektivität und sachorientierte Information ankommt.

Wenn man dann auch noch für eine Leserschaft schreibt, die über China nicht sonderlich viel mehr weiß, als dass dort die vielen bunten und giftigen Plastikspielsachen herkommen, dann kann man schon verstehen, dass der eine oder andere Bericht nicht gerade pulitzerpreisverdächtig ist. Und wenn man dann außerdem, wie ein großer Teil der westlichen China-Berichterstatter, nicht über die sprachlichen Kenntnisse verfügt, um dem gesellschaftlichen Leben zumindest als Beobachter zu folgen, ja was soll denn dabei auch herauskommen? Ach, Sie glauben, China-Korrespondenten sollten doch wohl chinesische Zeitungen lesen können? Nun ja, ein anderes Thema. Und es gibt ja auch viele deutsche Journalisten, die ihre Sache sehr gut machen. Johnny Erling, Mark Siemons und Felix Lee gehören z.B. zu dieser Spezies. Auch die schwierigen Umstände, unter denen in China gearbeitet wird, sollen hier nicht unterschlagen werden.

Der Marco-Polo-Effekt

Zu der allgemein misslichen Lage in China kommt aber nun noch etwas hinzu. Der „Marco-Polo-Effekt“, wie ich es nennen möchte, verliert allmählich seine Wirkung. Dieser Effekt hat sich Tausende von Jahren segensreich auf das Ansehen der Berichterstatter aus fremden Ländern ausgewirkt und wird nun durch das Internet und den grenzüberschreitenden Informationsverkehr in Echtzeit stark abschwächt. Gemeint ist Folgendes: Je weiter das Land entfernt ist, aus dem du berichtest, desto geringer ist die Chance, dass jemand noch während deiner Lebenszeit etwaige Ammenmärchen und Plattitüden, die du aufgetischt hast, entlarvt und desto weniger Mühe musst du dir geben, die Wahrheit in ihrer ganzen vertrackten Komplexität zu beachten.

Das ist vorbei, seit das Internet der Zeitung einen unregulierbaren Feedback-Kanal spendiert hat. Die Ansprüche sind seitdem gestiegen und ich sehe kaum, dass der Journalismus darauf in irgendeiner Weise angemessen reagiert.

Zwei Geschehnisse, die während meiner Arbeit als Dozent an einer chinesischen Universität passiert sind, sollen hier nur als Beispiel dafür stehen, warum ich die Ansicht für falsch halte, dass unser westlich geprägtes Mediensystem samt seiner verholzten Wurzeln in der Papierzeit noch zeitgemäß ist.

Die geschlagene Gurke

Anfangen möchte ich mit dem Ehec-Skandal. Damals, als dieser Keim die ersten Todesopfer in Deutschland forderte, berichteten auch die chinesischen Medien darüber. Was mich allerdings sehr störte, war der Unterton der Berichterstattung: „Seht her, das passiert nicht nur bei uns, sondern auch im angeblich so sicheren Westen.“

Als ich damals ins Seminar kam, sprach mich ein Student auf den Skandal an. Er sagte: „Herr Hänke, haben Sie schon gehört? In Deutschland ist das Essen auch nicht sicher. Die spanischen Gurken sind giftig.“

Ich habe dann zunächst einmal versucht zu erklären, dass die chinesischen Staatsmedien diesen Vorfall benutzen, um die eigenen Verhältnisse, die mit kaum Deutschland zu vergleichen sind, zu relativieren. Ich habe erzählt, dass das deutsche Gesundheitsamt mit ziemlicher Sicherheit kaum einen chinesischen Betrieb genehmigen würde. Ich habe behauptet, dass das Ausmaß der chinesischen Lebensmittelskandale die deutschen Verhältnisse bei weitem übertrifft. Ich habe über das Milchpulver, die Restöl-Verwertung, den gefälschten Alkohol und all die widerlichen Dinge gesprochen, die täglich in Chinas nahrungsmittelverarbeitendem Gewerbe geschehen. Ich habe gesagt, dass der TÜV, Foodwatch und ein funktionierendes Lebensmittelkontrollsystem in China mit Sicherheit mehr Menschenleben retten würden, als alle Menschenrechtsorganisationen dieser Erde zusammengenommen. Ich habe behauptet, dass in China in jeder Stunde mehr Menschen an vergiftetem Essen sterben, als in Deutschland in einem ganzen Jahr.

Aber dann habe ich auch noch etwas anderes behauptet. Ich habe gesagt, dass ich es für ausgesprochen wahrscheinlich halte, dass – trotz der Panikmache, trotz der Vernichtung riesiger Mengen an Lebensmitteln, trotz der Bilder der mutmaßlich giftigen Gurken neben tausendfachen Vergrößerungen der gefährlichen Keime – die spanischen Gurken damit gar nichts zu tun haben. Ich war mir da irgendwie sicher. Denn zu diesem Zeitpunkt handelte es sich ja um einen bloßen Verdacht, der von SpiegelOnline, dem hypernervösen Zappelphillip der deutschen Medienlandschaft, mediendramaturgisch ausgeschlachtet wurde.

Ich sollte Recht behalten. Die arme Gurke war unschuldig und bis heute ist wohl nicht endgültig geklärt, wer für den durch Panikmache entstandenen Schaden haften soll. Ab diesem Zeitpunkt sagten die Studenten immer, wenn ich zu weit vom Thema abkam: „Er schlägt schon wieder die Gurke.“ „Geschlagene Gurke“ ist ein Gericht der chinesischen Küche.

Der Ehec-Fall mag in seiner Ausprägung einige Besonderheiten haben, typisch für das deutsche Mediensystem ist aber, dass Skandalisierungen, Panik-Mache, Ungenauigkeiten bei der Präsentation von Fakten und vor allem die Übernahmen ungesicherter Informationen einen vernunftorientierten Diskurs oft geradezu unmöglich werden lassen, im Zeitalter der Echtzeitkommunikation ganze Lawinen von Informationsmüll lostreten können und es kaum Mechanismen gibt, die den Prozess verlangsamen.

Die ewige Ente

Die zweite Geschichte, die mit meiner Arbeit und mit der China-Berichterstattung noch viel mehr zu tun hatte, nenne ich die ewige Ente. Es war in der Zeit vor der Olympiade. Damals erhielt ich plötzlich und für mich ziemlich unerwartet von Freunden aus Deutschland E-Mails, in denen ich gefragt wurde, ob die chinesische Regierung mich denn auch bald aus dem Land werfen würde. In China hätte man doch jetzt alle ausländischen Studenten ausgewiesen.

Ich hatte damals auch von Visa-Problemen gehört. Insbesondere vor den Olympischen Spielen schien man strenger vorzugehen. Vielleicht versuchte man aber auch einfach, bei der Visa-Vergabe internationale Standards zu erreichen, denn meine Erfahrung sagt mir, dass es in China viele Wege gibt, die offiziellen Bestimmungen zu umgehen. Zwar geschieht es nicht selten, dass Ausländer in China gezwungen werden, das Land zur Visa-Verlängerung zu verlassen. Meist reicht jedoch ein Kurz-Trip nach Hongkong und das Problem ist gelöst.

Sicher gab und gibt es oft Schwierigkeiten bei der Beantragung eines Visums, aber wer jemals erlebt hat, welche bürokratischen Hürden chinesische Studenten nehmen müssen, die nach Deutschland einreisen möchten, der wird verstehen, dass gerade Deutsche in dieser Frage nicht unbedingt mit Anschuldigungen um sich werfen sollten.

Um die Geschichte abzukürzen: Die DPA-Meldung, auf der die Medienberichterstattung der Tageszeitungen und Online-Medien beruhte, war eine Falschmeldung – eine Ente. An der ganzen Geschichte war im Grunde nichts dran. Dass sich sachliche Fehler in die Berichterstattung einschleichen, ist ja nichts Außergewöhnliches. Jedem Journalisten, sei er noch so gewissenhaft, unterlaufen Fehler. Allerdings ist in diesem Fall das Ausmaß schon sehr erschreckend. Eine offizielle Anweisung, die ausländischen Studenten während der Olympischen Spiele auszuweisen, ist ein so unwahrscheinliches Ereignis, dass ich mich damals gefragt habe, welche Vorstellung denn in den Köpfen der Verantwortlichen vorherrscht – und wie der Unsinn dort hineingekommen ist -, wenn sie so einen Unfug einfach unreflektiert übernehmen, ohne den Wahrheitsgehalt zu prüfen.

Die Olympischen Spiele wurden in China auch vom einfachen Volk als eine Gelegenheit gesehen, sich der Welt von seiner besten Seite zu präsentieren. Viele Zuschauer hätten sich mehr Offenheit und Herzlichkeit und weniger bombastischen Perfektionismus gewünscht und auch ich fand die offizielle Inszenierung der chinesischen Nation teilweise sehr abweisend. Allerdings herrschte damals in der gesamten Bevölkerung eine nahezu fanatische Freude, jetzt einmal selbst Gastgeber einer solchen globalen Veranstaltung zu sein. Ganze Horden von Freiwilligen bereiteten den Empfang der internationalen Besucher vor. Eine Anweisung, ausländische Studenten auszuweisen, hätte niemand in China ernsthaft befürwortet. Das hätte man wissen können. Das nehme ich den deutschen Medien, insbesondere dem Spiegel, der damals gerade den Weltkrieg um Wohlstand ausgerufen hatte, bis heute übel.

Und warum die „ewige“ Ente? Ganz einfach: Das Netz vergisst nichts, zumindest dann nicht, wenn man es nicht explizit dazu auffordert. Und bis auf SpOn hat sich bis heute kein Online-Medium die Mühe gemacht, diesen Unfug zu korrigieren.

Und somit bleibt diese hektisch herausposaunte Legende für immer im Netz der kollektiven Erinnerung hängen. Die Ausweisung der Gaststudenten während der Olympiade gehört heute zu China wie die Glückskekse nach dem Essen. Ach, in China gibt es gar keine Glückskekse? Nein? Das ist ja ein Ding!

Hier die ewigen Enten: