Die Huffington Post ist seit ein paar Tagen in Deutschland angekommen und dieses etwas unglücklich mit dem Focus-Magazin und Cherno Jobatey gestartete Projekt ruft die ersten Reaktionen zur neuen Kostenloskultur hervor. Die einen finden den Ansatz gut und für die anderen ist er ein rotes Tuch. Ich denke, es ist gut, dass endlich etwas passiert. Die deutsche Digitalkultur ist in ihrer schriftlichen Form ein Niemandsland, bevölkert von monolithischen Papierzeitunternehmungen, ein paar erfolgreichen Tech-Bloggern, Satirikern und einigen mutigen Pionieren. Mal sehen, ob sich daran nicht doch irgendwann etwas ändert. Hier meine Gedanken zum Thema:
Manchmal regt mich etwas wahnsinnig, oder ich finde etwas paradox, fantastisch, oder unfassbar intelligent gemacht. Hin und wieder habe ich auch etwas zu sagen. Und manchmal habe ich den Wunsch es niederzuschreiben, damit andere es lesen können. In meiner Schulzeit habe ich einmal einen Kommentar in der Schülerzeitung veröffentlicht, in dem es darum ging, dass Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt werden sollte. Ich fand die Vorstellung, dass bis dahin die Vergewaltigung der eigenen Ehefrau straffrei bleiben konnte, so absonderlich, als würde man darüber diskutieren, ob Raubmord unter Halb-Schwestern gesetzeswidrig ist. Ich war kein Mitglied der Redaktion der Schülerzeitung, aber ich habe dort einfach diesen Text abgegeben und mich darüber gefreut, dass ihn jemand gelesen hat.
Später wollte ich Journalist werden und ging die Sache mit einer freien Mitarbeit für das Anzeigenblatt „Hallo Stormarn“ an. Gleich am ersten Tag wurde ich beauftragt, über die ADAC-Pannenhilfe eines Auto-Händlers im Nachbardorf zu schreiben. „Nanu“, dachte ich mir „Das ist doch gar kein Thema. Was ist denn daran journalistisch interessant?“ Der Autohändler wollte partout nicht interviewt werden und ich hatte eigentlich nicht vor, ihn davon zu überzeugen, dass seine ADAC-Hilfe ein Thema von öffentlichem Interesse war. Aber der Chefredakteur behauptete, ich müsse als Journalist Hartnäckigkeit zeigen und er würde den Autohändler auch noch einmal anrufen und auf diese tolle Methode der Öffentlichkeitsarbeit hinweisen. Und später könnte der ja vielleicht auch einmal eine vergünstigte Anzeige bei „Hallo Stormarn“ schalten.
Natürlich gibt es überall in den herkömmlichen Medien, auch bei Anzeigenblättern und lokalen Fernsehstationen Menschen, die etwas zu sagen haben. Aber man darf doch nicht vergessen, dass der größte Teil der Medieninstitutionen wirtschaftlichen Zwecken untergeordnet ist und nur sekundär dem Wohle der Gesellschaft dient. Erst kommt der Verkauf und dann kommt die Botschaft. Im meinem Publizistikstudium habe ich darüber nicht viel erfahren und wenn Journalisten ihren Beruf beschreiben, dann schwingt oft sehr viel Pathos mit – als wäre die mediale Kommunikation nicht maßgeblich durch interessengeleitete Informationsvermittlung bestimmt. Wer ehrlich ist, muss aber doch sehen, dass Aufklärung, Ermöglichung der unvoreingenommenen Meinungsbildung, oder gar Objektivität im derzeitigen Mediensystem nur zu oft in den Hintergrund treten, weil viele Botschaften sich einfach nicht gut verkaufen lassen. Ich habe mich in der letzten Zeit viel mit der journalistischen Berichterstattung über China beschäftigt. Die Themenauswahl, der Blickwinkel und die Aufbereitung orientieren sich vor allem daran, was die Rezipienten in Deutschland aufnehmen können, was in ihr Weltbild integrierbar ist oder was sie schockierend finden. Mit einer objektiven Abbildung der chinesischen Realität hat diese Informationsselektion und –vermittlung nur sehr wenig zu tun. Viele spannende Ereignisse und gesellschaftliche Veränderungen in China haben in Deutschland leider den Informationswert des sprichwörtlichen Sacks Reis.
Das Zeitalter der Vielstimmigkeit
Die meisten Menschen haben von den meisten Dingen nur sehr wenig Ahnung. Von einigen, wenigen Dingen verstehen sie hingegen sehr viel. Dieses Wissen lässt sich aber leider so gut wie nie vermitteln, geschweige denn verkaufen, weil fast niemand versteht, was daran denn nun interessant ist. Wir sind alle Experten in irgendetwas und es ist schon lange an der Zeit, dieses Wissen konsequent gesellschaftlich zu nutzen, anstatt die medialen Kanäle der Kaste der zunehmend aufmerksamkeitsfokussierten Journalisten, Politiker und PR-Fachleute zu überlassen. Es beginnt das Zeitalter der Vielstimmigkeit, in dem es zu jedem Artikel einen Kommentator gibt, der über das Thema des Artikels weit mehr weiß als der Autor selbst. Dieses Wissen muss dann eigentlich nur noch aus den herkömmlichen publizistischen Verwertungszusammenhängen befreit und lesergerecht aufbereitet werden.
In der letzten Zeit wurde viel über die „Neue Ehrlichkeit“ geschrieben, das von David Foster Wallace proklamierte Ende der Ironie, die neue Art, es ernst zu meinen mit dem, was man schreibt. Ich denke, dass ein Format wie die „Huffington Post“ ein Weg sein kann, auf dem interessante Menschen die Chance bekommen, gehört zu werden. Geld spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Informationen waren bis zum Aufkommen des gedruckten Wortes weitestgehend kostenlos. Das heißt nicht, dass es sich nicht gelohnt hat, anderen Menschen etwas mitzuteilen, das für sie nutzbringend war. Wer einen privilegierten Zugriff auf Informationen hatte, oder mit Fachwissen in einem bestimmten Gebiet aufwarten konnte, war gefragt. Aber man war nicht darauf angewiesen, mit der Tür ins Haus zu fallen; man musste keinen Redakteur überzeugen, dass ein Text sein Geld auch Wert ist.
Menschen beteiligen sich an Diskussionen und vertreten ihren Standpunkt. Wenn Sie langfristig Recht behalten, anderen gedanklich voraus sind, hört man ihnen zu, man „kauft es ihnen ab“. Jeder Text, jeder Standpunkt ist Werbung für den Autoren, für das, was er macht, wie er arbeitet und worüber er Bescheid weiß. Seit durch die Digitalisierung das gedruckte Wort keine Produktionkosten mehr verursacht, es also vollkommen kostenlos unters Volk gebracht werden kann, wird sich auch das mediale System daran orientieren müssen.
Es wird sich daher auch in Deutschland ein Format etablieren, in dem Menschen sich auf dem Marktplatz der Informationen positionieren, ohne dafür direkt bezahlt zu werden. Ob die deutsche „Huffington Post“ es schaffen wird, oder ob aus Projekten wie carta.info oder theeuropean.de eine solche deutschlandweit bekannte Plattform hervorgehen wird, das weiß ich nicht. Der Untergang des Journalismus wird es jedenfalls nicht sein – eher der Sargnagel für einen Journalismus, der nicht ehrlich ist und der noch immer glaubt, von einem Standpunkt aus schreiben zu können, der die Vielstimmigkeit und Komplexität der Wirklichkeit ignoriert, nur um das letzte Wort zu haben.