Zensur Spezial: Tencent und Sina Weibo deaktivieren die Kommentarfunktion der chinesischen Mikroblogs

Als ich vor einiger Zeit in meinem Sina-Mikroblog eine Nachricht von einem mir unbekannten Nutzer erhielt, wunderte ich mich kurz über die seltsame Frage, die mir gestellt wurde. „Gab es in Peking wirklich einen Putsch?“, wollte jemand von mir wissen. Ich hielt es für einen Scherz oder einen – weil die Frage auf Deutsch gestellt wurde – nicht gerade unwahrscheinlichen Übersetzungsfehler. Ich hatte diese Nachricht schon beinahe vergessen, doch einige Tage später fingen die englischsprachigen Blogs und Online-Medien an, über diese Putsch-Gerüchte in den Mikroblogs zu berichten – über wilde Spekulationen darüber, dass hinter den verschlossenen Mauern des Regierungssitzes ein Staatsstreich stattgefunden haben soll. Und dann dauerte es noch eine Weile, bis die deutschen Medien diese Gerüchte wiederum bei ihrer China-Berichterstattung aufgriffen. Bisher gibt es weder von offizieller chinesischer Seite, noch von unabhängigen Berichterstattern irgendwelche Anzeichen dafür, dass diese Gerüchte mehr sind, als die typisch chinesischen Internetgeschichten, die sich meist wie ein Lauffeuer verbreiten und an denen oft genug nichts dran ist. Befeuert wurden die jüngsten Geschichten sicherlich durch Spekulationen über die politischen Hintergründe der recht spektakulären Absetzung des bei weiten Teilen der Bevölkerung bekannten, maoistisch orientierten Politikers Bo Xilai.

Schneeballsytemschlacht

Normalerweise würde ich mich einfach darüber ärgern, dass viele Journalisten offenbar nichts Besseres zu tun haben, als sich an der virtuellen “Stillen Post” zu beteiligen. Aber dieses Putsch-Gerücht hat offenbar ein Nachspiel. Die chinesische Regierung scheint sich tatsächlich auf eine Schneeballsystemschlacht einlassen zu wollen. Die aktuellen Gerüchte wurden zum Anlass genommen, strenger gegen deren Verbreitung vorzugehen. Seit heute Morgen kann ich in meinem Mikroblog bei sina.com keine Tweets mehr kommentieren. Und das geht nicht nur mir so. Wie die staatliche Zeitung “China Daily” in ihrer Online-Ausgabe mitteilt, wurden als Strafmaßnahme für die Verbreitung von Gerüchten die beiden großen Mikroblogs bei sina.com und tencent.com angewiesen, ihre Kommentarfunktion für fünf Tage stillzulegen. Laut dem ebenfalls staatlichen Medium “China Radio International” wurden im Zuge des Vorgehens gegen Gerüchte sechszehn Webseiten vom Netz genommen und sechs Personen wegen der Verbreitung von Online-Gerüchten festgenommen.

Salz wird euch nicht schützen!

Die chinesische Regierung, die ja die Medien stark in ihrer Berichterstattung einschränkt und auf verschiedenste Weise die Inhalte zensiert, führt schon seit längerem eine Kampagne gegen die Verbreitung von Unwahrheiten. Zum einen werden Gerüchte aktiv gelöscht, zum anderen wird versucht, aktiv “Aufklärung” zu betreiben. Weil die meisten Chinesen aber aus guten Gründen an der Objektivität der offiziellen Medien zweifeln, werden viele als wichtig eingestufte Informationen weiterhin durch Mund-zu-Mund-Propaganda weitergegeben. So fürchtete man während der japanischen Reaktorkatastrophe auch in China die Gefahren des Fall Outs. Irgendwann kam dann das Gerücht auf, dass der Verzehr von gewöhnlichem Kochsalz ein effizienter Schutz gegen Verstrahlung sei. Innerhalb eines Tages waren daraufhin in Peking sämtliche Salzvorräte der Supermärkte leergekauft. Die offiziellen Medien strahlten zahllose Sondersendungen aus, um dieses unsinnige Gerücht und die dadurch ausgelösten Panikkäufe zu verhindern.

Only good news are good news

Vorkommnisse wie diese zeigen, dass Gerüchte in China tatsächlich eine reale Gefahr für Leib und Leben darstellen können. Mit Panikreaktionen großer Bevölkerungsteile ist in einem Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern schließlich nicht zu spaßen. Die Reaktion der Regierung auf Gerüchte ist jedoch weitgehend hilflos und zeigt nur, dass man dort die Zeichen der Zeit noch immer nicht erkannt hat. Denn der Grund, warum in China die Menschen viel stärker als im Westen geneigt sind, auch den wildesten Gerüchte Glauben zu schenken, liegt eindeutig an der stark eingeschränkten Pressefreiheit. Durch eine freie Berichterstattung werden ja auch die Wahrheiten ans Licht fördert, die nicht im Sinne der Regierung sind. In China hingegen wird die Informationsweitergabe der Medien oft gedeckelt und „harmonisiert“, wie es im chinesischen Internetjargon heißt. Die Nachrichten der offiziellen Medien bestehen daher noch immer zu einem überwiegenden Teil aus Erfolgsmeldungen. Im modernen Journalismus westlicher Prägung sagt man „Only bad news are good news“, weil oft nur das Skandalöse, das Gefährliche, das Böse es in die sensationsgierigen Medien schafft. Für die weitgehend harmonisierte chinesische Medienlandschaft gilt das genaue Gegenteil: „Only good news are good news“. Wenn aber die Menschen kein Vertrauen in die Fähigkeit der Medien haben, über Skandale zu berichten, werden sie sich die Informationen über Umweltrisiken, politische Fehlentwicklungen, Gefahren für die Gesundheit und all die anderen Dinge, die unabdingbar Teil moderner Gesellschaften sind, zwangsläufig aus anderen – seriösen und unseriösen – Quellen besorgen.

Der Streisand-Effekt – Don’t think of an Elephant!

Ich halte die Regulierungs- und Zensurmaßnamen im chinesischen Internet, die derzeit angewendet werden, für insgesamt eher wirkungslos. Die Sperrung von Suchbegriffen, die Löschung von Tweets, und nun die “Bestrafung” der Mikroblogbetreiber durch Deaktivierung der Kommentarfunktion werden weder die Debatten unterbinden, noch Gerüchte vermindern. Die chinesischen Internetbenutzer haben bisher noch immer einen Weg gefunden, die Maßnahmen zu umgehen. Die Bemühungen, eine offene, kontroverse und teilweise sicherlich auch unsachliche Debatte über gesellschaftliche und politische Themen zu verhindern, werden langfristig so erfolgreich sein wie die Aufforderung, nicht an einen Elefanten zu denken. Denn ein Effekt, der in Zeiten des Internets immer wichtiger wird und den es bei jedem Versuch der Regulierung zu bedenken gilt, ist der so genannten Streisand- Effekt.

Als Streisand-Effekt wird bezeichnet, wenn durch den Versuch, eine Information zu unterdrücken, genau das Gegenteil erreicht wird, nämlich die Information besonders bekannt gemacht wird. Seinen Namen verdankt der Effekt Barbra Streisand, die den Fotografen Kenneth Adelman und die Website Pictopia.com 2003 erfolglos auf 50 Millionen US-Dollar verklagte, weil eine Luftaufnahme ihres Hauses zwischen 12.000 anderen Fotos von der Küste Kaliforniens auf besagter Website zu finden war. Damit stellte sie aber erst die Verbindung zwischen sich und dem abgebildeten Gebäude her, woraufhin sich das Foto nach dem Schneeballprinzip im Internet verbreitete.
http://de.wikipedia.org/wiki/Streisand-Effekt

Langfristig wird der Streisand-Effekt in China dazu führen, dass die Bevölkerung sich genau für die Themen besonders stark interessiert, die auf dem Index stehen. Welche Worte bei den Weibos zensiert werden, lässt sich schon heute auf vielen Internetseiten nachlesen und je aktiver und vehementer die Regierung gegen diese wahlweise auf Tatsachen oder Unsinn basierenden Diskussionen vorgeht, desto mehr wird die Öffentlichkeit zu diesen Themen herausfinden wollen. Möglichkeiten dazu bietet das Internet genug. Auch das zensierte.

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UPDATE (16:33):
Sina Weibo erlebt gerade das, was vom Sprachlog vor kurzem zum Anglizismus des Jahres 2011 gekürt wurde: Einen veritablen „Shitstorm“. Denn zwar wurde die Kommentarfunktion deaktiviert, aber beim „reposten“ kann man immer noch seine Meinung hinzufügen. Und davon wird jetzt ausführlich Gebrauch gemacht, um sich über diese sonderbare Form der Gerüchtebekämpfung entweder aufzuregen oder einfach nur zu amüsieren.

Musikrezension: Omnipotent Youth Society – Töte diesen Menschen aus Shijiazhuang

Die Omnipotent Youth Society ist für mich die chinesische Band mit dem größten künstlerischen Potenzial derzeit. Sie haben für ihr aktuelles Album Jahre gebraucht und so klingt es auch. Im bäuerlichen Shijiazhuang schrauben ein paar Jungs in den bretterbudenähnlichen Rockschuppen Songs zusammen, die sich kompositorisch kaum hinter Coldplay oder Radiohead verstecken müssen. Auffälligstes Merkmal ihrer Musik sind die sphärischen Trompetenklänge und die oft überraschenden Rythmus- und Melodiewechsel in ihren Liedern. Sie sind alle ausgebildete Musiker, die auch Jazz oder Klassik machen könnten, wenn sie es wollten. Stattdessen füllen sie aber lieber auf einem nicht-existenten chinesischen Rockmusik-Markt eine nicht existente Nische aus. Ihre Fans wissen, dass es ihnen ziemlich gleichgültig ist, ob irgendjemand zuhört. Denn darum geht es nicht. Die glasklaren Lyrics stammen von einem jungen chinesischen Universitätsdozenten für englische Poesie, der die metaphorische Gewalt der chinesischen Sprache zu nutzen weiß. Der Song „Qinghuangdao“ ist eine Hymne und eine junge Frau in dem Video weiter unten sagt, dass sie weinen musste, als sie das Lied zum ersten mal gehört hat.

Ominipotent Youth Society bei „noisey“, Beijing



Ein Einblick in die Welt der „Omnipotent Youth Society“ (Versuch einer Übersetzung):

Töte diesen Menschen aus Shijiazhuang

Um sechs Uhr Abends ist Feierabend,
Ich zieh mir den Kittel der pharmazeutischen Fabrik aus.
Meine Frau kocht Reisbrei,
Ich trinke ein paar Flaschen Bier.

So weiter die nächsten 30 Jahre,
bis das Gebäude zusammenstürzt.
Tief in der Mitte der Wolkenschicht ist Dunkelheit.
Die in meinem Herzen ertrunkene Landschaft.

Am achteckigen Verkaufstresen,
Am verrückten Markt des Volkes,
bezahle ich mit Falschgeld
und kaufe eine falsche Waffe.

Sie beschützt ihr Leben,
bis das Gebäude zusammenstürzt.
Der Vorhang der Nacht bedeckt die Ebenen Nordchinas.
Ihr tieftrauriges, tränenbedecktes Gesicht.

In der Mittelschule in Hebei
spielen sie Ping Pong
und betrachten mich stumm.
Unfähig, das Klassenzimmer zu verlassen.

Das Leben in der Erfahrung
bis das Gebäude zusammenstürzt.
Zehntausend wilde Pferde
laufen durch seinen Kopf.

So weiter die nächsten 30 Jahre,
bis das Gebäude zusammenstürzt.
Tief in der Mitte der Wolkenschicht ist Dunkelheit.
Die in meinem Herzen ertrunkene Landschaft.



Omnipotent Youth Society
bei Amazon



Omnipotent Youth Society-Kill the One from Shijiazhuang

Das ganze Album zum reinhören bei douban.

Der „Flame War“ zwischen Han Han und Fang Zhouzi

„Flaming“ wird auch als „bashing“ bezeichnet und ist die feindliche und beleidigende Interaktion zwischen Internet-Usern. Flaming spielt sich normalerweise in dem sozialen Umfeld eines Internetforums ab. (…) Ein „Flame War“ entsteht, wenn sich viele User durch provokative Antworten engagieren, die auf den ursprünglichen „Flamebait“ bezogen sind. Flame Wars ziehen oft viele User mit in den Konflikt (inklusive derer, die versuchen, den Konflikt beizulegen) und können die reguläre Forendiskussion negativ beeinflussen (…). Übersetzung nach dem englischen Wikipedia-Artikel über flaming

Nach dieser Definition haben wir es bei dem seit Wochen anhaltenden Streit zwischen dem chinesischen Posterboy Hanhan und Fang Zhouzi mit einem klassischen „Flame War“ zu tun. Han Han, der multi-talentiert als blog- und romanschreibender Literat und als Autorennfahrer in Erscheinung tritt und Fang Zhouzi, der durch seine detaillierten Analysen schon so manchen Betrüger entlarvt hat, stehen sich  so verfeindet gegenüber, dass der Konflikt im Chinesischen als „方韩之战“ (fanghanzhizhan), als der Han-Fang’sche Krieg bezeichnet wird und wohl auch als solcher in die Geschichtsbücher des chinesischen Internets eingehen wird. Hauptsächlich geht es in dem Konflikt um den Vorwurf, dass viele der Texte Han Hans mit Hilfe eines Ghost-Writers entstanden sind. Eine wichtige Rolle in dem Konflikt spielen sicher auch Han Hans vor kurzem veröffentlichte Blogposts über „Revolution„, „Demokratie“ und „Freiheit“, in denen der zuvor meist als System-Oppositionelle人gesehene Schriftsteller-Rebell seinen politischen Standpunkt sehr pragmatisch definiert. Han Han nimmt in diesen Posts den Standpunkt ein, dass eine direkte Konfrontation mit den Machthabern in China derzeit keinen Sinn macht. Er fordert weitreichendere Reformen, aber keinen System-Wechsel. Viele seiner liberal orientierten Leser waren davon enttäuscht.

Die Unterstützer der jeweiligen Seite stehen sich so unversöhnlich gegenüber, dass im Internet viele Geschichten die Runde machen, in denen sich langjährige Ehepaare scheiden lassen, weil der eine Partner ein Fan von Han Han ist und der andere auf Fang Zhouzis Seite steht und entsprechend Han Han für einen kleingeistigen Schummler hält.

Einen offiziellen Doppelpod-Standpunkt in der Debatte gibt es noch nicht. Denn anders als im deutschen Guttenberg-Fall sind die Vorwürfe gegen Han Han viel schwerer nachzuweisen. Aber nach allem, was ich weiß, scheint es viele Gründe dafür zu geben, dass der immer wahrscheinlicher werdende Fall Han Hans vom Thron der Internet-Generation durchaus in Ordnung geht.

Für diejenigen, die sich eine eigene Meinung bilden möchten, die folgenden Videos  (ein englischsprachiges und ein chinesisches) :







Zensur Spezial: Maulkorb für die “Quasselstrippe of America”

“Hallo zusammen. Schön, dass ihr wieder einschaltet bei OMG-Meiyu. Ich bin Bai Jie. Montag bis Freitag mache ich jeden Tag eine Sendung und wir lernen zusammen den neuesten und authentischsten ‘American Slang’”. So hat Jessica Beinecke ihre drei Minuten Dampfquatschen begonnen und so beginnt sie auch heute noch ihre chinesischsprachige Sendung. Nur können die meisten ihrer chinesischen Fans sie jetzt leider nicht mehr hören. Der chinesische Youtube-Klon, auf dem man ihre Sendung abrufen konnte, hat ohne Angabe von Gründen beschlossen, die lustigen Sprachlernvideos zu löschen. So kann man es auf der OMG-Seite des chinesischen Twitter-Klons nachlesen. Jessica ist darüber sehr traurig und auch viele ihrer Fans beklagen diesen Maulkorb.

Um diese Geschichte richtig einordnen zu können, sollte man jedoch wissen, dass Bai Jie mit ziemlicher Sicherheit kein spontanes Internetphänomen ist. Der SPON-Artikel, der vor zwei Monaten erschienen ist, und in dem Bai Jie als eine niedliche Selfmade-Berühmtheit beschrieben wird, ist in Bezug auf diese Frage an Naivität kaum zu überbieten. Zunächst einmal aber sind hunderttausend Fans bei Weibo im chinesischen Internet-Wunderland keine sonderlich erstaunliche Leistung – vor allem, wenn man davon ausgeht, dass die Clips professionell produziert sind. Denn wer glaubt, dass diese Sendung, wie in dem Artikel behauptet wird, aus einem Spaß entstand und quasi ein Hobby von Jessica Beinecke ist, der muss schon sehr viele Details übersehen.

“Wohl mehr aus Spaß an der Sache begann sie nebenbei in ihrem Wohnzimmer in Washington mit der Videokamera ihres Notebooks kurze Sprachlernvideos für Chinesen aufzunehmen und ins Netz zu stellen.”
Quelle: Spiegel.de

Natürlich ist diese Sendung sehr stark personalisiert und erweckt den Anschein, ein Produkt der aufgeregten jungen Dame aus dem mittleren Westen zu sein. Aber Jessica Beinecke war und ist eine Mitarbeiterin der “Voice of America”, dem offiziellen auswärtigen Sprachrohr der US-Regierung, das in dem SPON-Artikel lapidar als “US-Radiosender” bezeichnet wird. Dort ist Jessica angestellt und ich kann mir irgendwie nicht so richtig vorstellen, dass deren Mitarbeiter nach Feierabend mal eben auf eigene Faust tägliche Formate produzieren.

Hinzu kommt, dass “OMG-Meiyu” eine Sendung ist, die in Bezug auf Script, Make Up, Kleidung, Kamera und Animation auf einem professionellen Niveau produziert wird. Im Internet finden sich weitere Hinweise darauf, dass man den Aspekt der Spontanität dieses “Erfolges” nicht überbewerten sollte.

With some advice from the producers of „Parazit,“ a popular show on VOA’s Persian service profiled last year on the NewsHour, she created „OMG! Meiyu.“
Quelle: PBS.org

Ich gehe daher eher davon aus, dass “OMG-Meiyu” einer neuen Strategie der „Public Diplomacy“ der USA zuzurechnen ist und dass das Ziel der Sendung unter anderem die Stärkung der US-Amerikanischen “Softpower” ist.

Ich bin der Meinung, dass diese Strategie mit Vorsicht zu bewerten ist. Sicher ist es ein Skandal, dass eine Sendung, in der es um vollkommen harmlose und unpolitische Themen geht und die ausschließlich das Erlernen einer Fremdsprache zum Ziel hat, von der chinesischen Video-Plattform ohne Angabe von Gründen gelöscht wird. Welche rationalen Begründungen sollten denn auch dafür angeführt werden, dass es Bai Jie verboten sein sollte, die Chinesen auch weiterhin täglich mit ihren Vokabeln vollzuquatschen? Diese Form der Zensur, bei der ohne Angabe von Gründen und ohne den Versuch, die Regulierungskriterien transparent zu gestalten, Inhalte gelöscht werden, ist meiner Meinung nach langfristig zum Scheitern verurteilt. Und auch Facebook wird wohl in dieser Frage seine Strategie ändern müssen.

“OMG Meiyu” gehört zur Agenda der US-amerikanischen Außenpolitik. Und wer beispielsweise die Diskussion um die Konfuzius-Institute verfolgt, die weitgehend in deutsche Universitäten integriert sind und dadurch Interessen verschleiern könnten, wird sehr schnell feststellen, dass auch in Deutschland Sprach-Kurse und Kulturveranstaltungen, die von einem Land mit einem anderen politischen und ideologischen Hintergrund veranstaltet werden, sehr argwöhnisch beäugt werden. Man fürchtet hüben wie drüben die als Kultur getarnte politische Einflussnahme durch fremde Staaten.

Zurzeit sind die Bemühungen der Chinesen im Bereich der Public Diplomacy aus vielen Gründen eher erfolglos. Ich gehe aber davon aus, dass auch die chinesische Regierung in Zukunft in dieser Hinsicht von den Amerikanern lernen wird und mit sehr viel subtileren Methoden versuchen wird, weltweit Sympathien zu gewinnen. Und ich gehe ebenfalls davon aus, dass auch die westlichen Industrienationen Wege suchen werden, solche Einflussnahmen zu verhindern.

Eine offene Gesellschaft, in der kontroverse Diskussionen stattfinden können, sollte keine großen Schwierigkeiten damit haben, auch ideologisch gefärbten Standpunkten staatlicher Institutionen anderer Länder in der öffentlichen Debatte Gehör zu schenken. Es sollte jedoch immer darauf geachtet werden, dass die Enstehensbedingungen im Informationsfluss offengelegt sind, auch wenn die Produkte als lustige Unterhaltungs- und Bildungsformate daherkommen.

Wenn Bai Jie gesagt hätte: “Hallo zusammen. Schön, dass ihr wieder einschaltet bei OMG-Meiyu. Eine Sendung der Voice of America…”, dann wäre ich in der Sache uneingeschränkt auf ihrer Seite. So bleibt ein Nachgeschmack und der Verdacht, dass die US-Regierung diese Sendung benutzten wollte, um interessenpolitisch bedingt Sympathien bei jungen Chinesen zu gewinnen.

“OMG-Meiyu” ist sprachdidaktisch übrigens eine ziemliche Katastrophe, weil die idiomatischen Redewendungen kaum im Kontext gelernt werden. Ich denke daher, dass die in China sehr beliebte US-Show “The Big Bang Theory” viel besser geeignet wäre, um US-amerikanischen Slang zu lernen. Wer jedoch nicht auf die Dampfplaudereien von Bai Jie verzichten möchte und hinter der Großen Chinesischen Firewall sitzt, dem sei die Smartphone-App von OMG empfohlen, oder aber der folgende Umweg über einen Online-Proxy:

  1. zu vtunnel.com gehen
  2. die Werbung wegklicken
  3. www.youtube.com eingeben
  4. nach OMG – Meiyu suchen
  5. Bai Jie gucken