Der Mensch ist keine Billardkugel – Kants Begriff der Freiheit in den Worten von Michael Sandel

<Sven Hänke>
In dieser Vorlesung erklärt Michael Sandel, warum wir eine kategoriale Verpflichtung haben, die Würde unserer Mitmenschen zu achten und nicht als Mittel zum Zweck ansehen dürfen. Kant geht es um die Prinzipien der Moral und die Grundlagen der Freiheit. Wie ist Freiheit überhaupt möglich?

Für Kant sind alle Menschen Personen. Sie haben somit Würde. Menschen sind rationale Wesen, die zur Vernunft fähig sind – autonome Wesen, die eigenständig entscheiden können.

Ein wichtiger Begriff, der in der chinesischen Kultur sicher eine deutlich geringere Rolle spielt als im westlichen Denken, ist der Begriff der Freiheit: Wirkliche Freiheit ist ein hohes Gut und allein dem Menschen vorbehalten. Wenn wir wie Tiere nur nach der Befriedigung unserer Triebe und zur Vermeidung von Schmerzen handeln, dann handeln wir nicht frei, sondern nach den Bedürfnissen der Natur. Freiheit ist in diesem Sinne immer autonomes Handeln – das Handeln nach den Regeln, die ich mir selbst gebe. Diese von reinen kausalen Zusammenhängen befreite Möglichkeit, autonome Entscheidungen zu treffen, unterscheidet den Menschen von Dingen wie z.B. Billardkugeln.

Moral definiert sich daher auch nicht nach den Konsequenzen des Handelns, sondern nach den zu Grunde liegenden Motiven. Nach Kant geschehen moralische Handlungen nicht aus Eigeninteresse, sondern sind immer moralisch in sich selbst. Aber woher wissen wir denn, was moralisch ist? Kant verweist bei dieser Frage unter anderem auf den kategorischen Imperativ. Der dient aber nur als Hilfsmittel, denn die Prinzipien der Moral sind in jedem Menschen vorhanden: „Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“

Weiter unten noch ein Youtube-Video, in dem versucht wird, Kants Prizipien an der Praxis zu überprüfen. Der Fall in diesem Beitrag ist aus der jüngeren deutschen Geschichte – die Entführung und Ermordung des Jungen Jakob Metzler. Dabei geht es um die Frage, ob Folter moralisch gerechtfertigt werden kann, wenn dadurch größeres Unheil verhindert wird. Die Antwort der deutschen Gerichte war eindeutig: Nein. Auch wenn das Resultat der Tod eines Unschuldigen ist, darf Folter nicht juristisch legitimisiert werden. In den USA sieht die Diskussion deutlich anders aus. Sicher hat Kant nicht geahnt, dass eines Tages ein US-amerikanischer Präsident glaubt, staatlich legitimisierte Folter rechtfertigen zu müssen und in seinen Memoiren behauptet, eine Foltermethode wie das sog. „Waterboarding“ wäre „damn right“. Er hätte den Menschen in dem Land, das so stolz auf seine freiheitliche Grundordnung ist, sicher zugerufen, dass ihr Freiheitsbegriff aber sowas von „damn wrong“ ist, wenn sie nicht erkennen, dass physische und auch psychische Folter bedingungslos abzulehnen ist.

Ich bin übrigens der Meinung, dass damals sowohl der verantwortliche Komissar Daschner als auch das Gericht richtig entschieden hat. Daschners Folterandrohung war ungesetzlich und muss bestraft werden. Die Würde des Menschen – auch eines widerlichen Mörders – ist unantastbar. Das heißt für mich jedoch nicht unbedingt, dass er nicht, auf der Grundlage der moralischen Gesetze in ihm, zu einem Ergebnis kommen kann, das ihn zwingt, in sehr eingeschränktem Maße unmoralisch zu handeln (Folterandrohung ist etwas anderes als Folter) und anschließend die entsprechenden Konsequenzen auf sich zu nehmen.

 

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Nachtrag: Könnte es sein, dass ich mit meiner Zustimmung zu Daschners Verhalten nicht genau das mache, was Bush getan hat? Ist es psychische Folter, wenn ich jemandem androhe, dass er „unerträgliche Schmerzen erleiden wird“, wenn er nicht kooperiert? Ach ja, das „Ticking Time Bomb Scenario„, das immer wieder auch in US-Fernsehserien wie „24“ oder „Lost“ zur Rechtfertigung von drastischen Maßnahmen herangezogen wird.

Angewandte Interkulturelle Kommunikation: Ching Chong – Asiaten in der Bibliothek [update]

 

Liebe Freunde der Angewandten Interkulturellen Kommunikation (AIKK),

das folgende Beispiel bedarf eigentlich kaum einer Erklärung. Naja, vielleicht doch. Also zunächst einmal kann man es schon verstehen, dass Alexandra Wallace nicht gerade darüber erfreut ist, dass die Asiaten in ihrer Universitätsbibliothek gerne mal mit der halben Familie in Übersee telefonieren, ohne auf die anwesenden Kommilitonen Rücksicht zu nehmen. Wer in China im Theater, im Kino oder eben in der Bibliothek war und währenddessen alle aktuellen Klingeltöne von den stolzen Handybenutzern vorgespielt bekommen hat, der weiß, was ich meine. Also liebe Chinesen, schaltet an den genannten Orten lieber Euer Handy aus! Denn sonst kommt es, wie man es in der Fachsprache gerne nennt, zu einem „Critical Incident“. Aber sehen wir zunächst Frau Wallace (für die Nicht-Übersee-Deutschen hier der Link zu Youtube):

Die Art und Weise, wie Alexandra Wallace diese Kritik im Internet veröffentlicht hat, ist jedoch ziemlich fragwürdig – übertrieben und einseitig. Aber hören wir uns an, wie die asiatische Community in den USA auf die harschen Worte reagiert hat. Wer austeilt, muss auch einstecken können. Johnny Wong macht das sehr originell, denke ich (Youtube hier):

Oder der folgende, sehr explizite „Rant“ (Youtube hier), der meiner Meinung nach weder in der Sprache noch argumentativ mit dem Song „Asians in the Library“  von Johnny Wong mithalten kann, aber trotzdessen bereits über 4,5 Millionen mal gesehen wurde:

„Cultural Clashes“ haben meist auch etwas Gutes. In diesem Fall: Die Asiaten, die es vorher noch nicht gewusst haben, lernen daraus, dass man sich durch Telefonate in der Bibliothek den ungeteilten Hass amerikanischer (und auch deutscher) Leseratten zuziehen kann. Und wir im Westen? Kritik ja. Aber immer schön nett und sachlich bleiben, sonst schreibt noch jemand böse Lieder über uns und gibt uns schlimme Namen. Und das wollen wir doch irgendwie auch nicht.

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Ich bin gerade darauf aufmerksam geworden, dass Alexandra Wallace nach diesem Vorfall, der schon eine Weile zurückliegt, Morddrohungen erhielt. Sie hat ihr Studium an der UCLA abgebrochen und sich für ihre unangemessene Kritik entschuldigt. Das ist bedauerlich! Sie hat zwar ziemlichen Unsinn gequatscht und es verdient, dass man sich eine Weile über sie lustig macht. Alles andere liegt für mich jedoch klar außerhalb einer angemessenen Reaktion. Daher finde ich auch nicht besonders witzig, was der Kommentator im dritten Video sagt „attack her in your own name“. Denn natürlich können auch Menschen, die sich für die vermeintlich gute Sache (hier die Ablehnung von plakativen Vorurteilen) einsetzen, weit über das Ziel hinausschießen.