Kuhhirte, Weberin und Super-Kuh – Valentinstag in China

Wo der Ursprung des westlichen Valentinstages genau liegt, müsste ich wie die meisten Deutschen bei Wikipedia nachsehen. Wenn man in China nach dem Ursprung des Valentinstages fragt, kennt jeder die Antwort: „Der Kuhhirte hat mit Hilfe der fliegenden Kuh die göttliche Weberin zur Frau genommen. Weil aber der Himmelskaiser der Meinung war, dass ein einfacher Kuhhirte nicht als Gatte für eine göttliche Weberin in Frage kommt, darf er nur einmal im Jahr mit den Elstern über die Milchstraße fliegen und sie besuchen.“ Alles klar? Nein?

In China gibt es zwei Kalender. Den „normalen“ Sonnenkalender und den chinesischen Mondkalender. Und was die blumenverkaufende Industrie besonders erfreut: Es gibt auch zwei Valentinstage – den westlichen und das chinesische Qixi-Fest, das am siebten Tag des siebten Monats des Mondkalenders gefeiert wird. Menschen in festen Partnerschaften aufgepasst: Das ist heute (06. Aug. 2011).

Wie fast alle traditionellen chinesischen Feste beruht auch das Qixi-Fest auf einer sehr „verstrickten“ Legende. In diesem Fall ist es die Geschichte von dem Kuhhirten Niu Lang und einer webenden Fee mit dem Namen Zhi Nü. Eine tolle Geschichte!

Niu Lang war ein Waisenkind, weswegen er zeitweilig bei seinem Bruder wohnte und als Kuhhirte arbeitetet. Er war ein aufrichtiges und fleißiges Kerlchen und bei den Leuten sehr beliebt. Nur seine boshafte Schwägerin konnte ihn nicht leiden. Diese böse Schwägerin gab sich die größte Mühe, ihm das Leben schwer zu machen. Eines Tages ersann sie einen bösen Plan. Sie gab Niu Lang neun Rinder und befahl ihm, zehn vom Hüten zurückzubringen. Wenn ihm das nicht gelänge, müsse er die Familie verlassen. Niu Lang blieb also nichts anderes übrig, als seiner Familie Lebewohl zu sagen. Als Begleitung gab man ihm ein altes, nutzloses Rind, das zum pflügen nicht mehr zu gebrauchen war.

Eine Weile verging und Niu Lang lebte einsam in der Verbannung. Doch eines Tages machte Zhi Nü, die hauptberuflich für den Himmelspalast Seide webte, mit einigen andere Feen einen Ausflug auf die Erde. Sie spazierten durch die Gegend und und badeten in einem Fluss. Bei dieser Begebenheit lernte Niu Lang diese gutaussehende und herzensgute Fee kennen. Wie genau der Kuhirte es vollbracht hat, ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, ist geschichtlich nicht überliefert. Bekannt ist allerdings, dass das pensionierte Rind ihm dabei geholfen hat. Diese „olle Kuh“ war zur Überraschung von Niu Lang gar nicht so nutzlos wie ursprünglich angenommen. Es war eine Art Super-Kuh, die sowohl sprechen als auch fliegen konnte.

Eine Spätfolge dieser schicksalsschweren Begegnung war, dass sich die Fee in den ehrlichen und fleißigen Mann verliebte und beide kurz darauf ohne die Einwilligung der Eltern heirateten. Das Ehepaar führte in den folgenden Jahren ein schönes Leben. Niu Lang betrieb Ackerbau und Zhi Nü beschäftigte sich weiterhin mit dem Weben feinster Stoffe. Alles lief prima und sie bekamen schon sehr bald zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter.

Aber die schöne Zeit dauerte nicht ewig. Als der Himmelskaiser und die Himmelkaiserin, die damals das Sagen hatten, davon erfuhren, wurden sie sehr zornig. Es war nicht erlaubt, dass eine hochwohlgeborene Fee einen einfachen Mann heiratet. Der Himmelkaiser schickte daher die Himmelskaiserin auf die Erde. Sie sollte die Weberin mit Gewalt zurück in den Himmel holen. Niu Lang musste entsetzt zusehen, wie seine Frau weggeführt wurde.

Der Himmelskaiser hatte jedoch nicht mit der Super-Kuh gerechnet. Sie sagte plötzlich: “Niu Lang, ich bin so alt. Und allzu lange werde ich ohnehin nicht mehr leben. Wenn du dir mein Leder umhängst, kannst du fliegen. Flieg in den Himmel und rette deine Liebe.“ Daraufhin starb das Rind wie vom Blitz getroffen. Niu Lang trauerte nur kurz, folgte dem Rat des Rindes und zog ihm die Haut vom Leib. Dann legte er sich den flugs genähten Ledermantel um und flog mit seinen Kinder zum Himmel.

Aber kaum hatte Niu Lang die Himmelskaiserin eingeholt, da zog sie mit ihrer goldenen Haarnadel einen Fluss in den Himmel, um so den Kuhhirten und die Weberin für immer voneinander zu trennen. Den gewaltigen Fluss kann man noch heute am Himmel sehen und er trägt in einigen Ländern den schönen Namen Milchstraße.

Eine Zeit lang schien es, als ob sich Niu Lang und Zhi Nü nie wieder sehen würden. Aber dann hörten die Elstern diese tragische Liebegeschichte. Unzählige Elstern versammelten sich und bildeten eine Brücke über den Himmelsfluss, damit das Ehepaar auf der Brücke zusammentreffen konnte. Als die Himmelskaiserin dieses Zeichen der Liebe sah, erweichte sich ihr Herz. Seitdem dürfen sich der Kuhhirte und die Weberin einmal im Jahr am „Qixi“, dem siebten Tag des siebten Mondmonats, auf der Elster-Brücke  treffen.

Diese Geschichte hat aber auch alles: Tragik, Romantik, Spannung und eine Super-Kuh. Ich vermute, dass das westliche Valentinsfest da kaum mithalten kann. Darum spare es ich mir auch, dessen Hintergründe bei Wikipedia nachzusehen und gehe einfach weiterhin davon aus, dass unser Valentinstag eine Erfindung der blumenverkaufenden Industrie ist.

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Anmerkungen: Der Text ist auf der Grundlage einer studentischen Hausarbeit in einem germanistischen Schreibkurs an der Nankai-Universität im WS 2006/2007 entstanden. Die Studentin, die sich den deutschen Namen „Doris“ gegeben hat, und deren chinesischen Namen ich leider vergessen habe, hat über  „chinesische Feste“ geschrieben. Mein Dank geht an sie: für den tollen Text und die lustige Zeit im Unterricht.

Das wahrscheinliche größte Oktoberfest der Welt – in Beijing?

Ich gebe es offen zu. Ich bin kein Bayern-Fan. Ich bin Norddeutscher und wenn ich im Ausland auf bayuwarisches Kulturgut treffe, dann frage ich mich oft, warum es unter allen Volksstämmen in Deutschland denn unbedingt die Bayern und ihre seltsamen Sitten und Gebräuche geworden sind, die rund um den Globus als typisch deutsch gelten. Wie haben es die Bayern nur geschafft, der ganzen Welt beizubringen, dass man in Deutschland Dirndl und Lederhosen trägt und dazu wahlweise die Brunftgesänge eines läufigen Erdferkels ausstößt (Jodeln) oder wie von Sinnen durch die Gegend springt und sich dabei auf Schuhe und Schenkel schlägt (Schuhplattler)? Daher vorweg eine wichtige Botschaft an alle Chinesen: Die Angehörigen des bayerischen Volksstammes sind in Deutschland so etwas wie eine nationale Minderheit, die Dinge veranstaltet, die das übrige Deutschland für äußerst skurril hält.

Da sind wir dann auch endlich beim eigentlichen Thema. Denn auch wenn es keinen Grund dafür gibt, den Bayern zu erlauben, durch ihre weiß-blaue „Corporate Identity Kampagne“ das Deutschlandbild im Ausland zu monopolisieren, so haben sie doch einiges an Erfolgen vorzuweisen. Neben mehreren gut gehenden Autowerken und einem Fußballverein, der sich bei jeder Gelegenheit „Rekordmeister“ nennt, vor allem eines: Das Oktoberfest, das größte Volksfest der Welt.

Das urbayrische Trinkgelage ist unbestreitbar eine der größten Touristenattraktionen Deutschlands, und etwa sechs Millionen Besucher feiern jedes Jahr im frühen Herbst „auf der Wiesn“ bei Bier, Brezn und Schweinshaxn (eine weitere seltsame Angewohnheit der Bayern: das Verschlucken der auslautenden Vokale). Und ebenso wie die schrillen Klänge der Peking-Oper und der Skorpion am Spieß für China-Touristen heute dazu gehören, so ist auch die Besichtigung der überdimensionierten Biergläser, der gegrillten Schweinshaxen und der Oberarme der weiblichen Bedienungen fast schon ein Muss beim Besuch im Land der teutonischen Rumpelriesen.

Das Oktoberfest in München hat auf der ganzen Welt inzwischen Nachahmer gefunden. Eine kurze Wikipedia-Recherche ergab, dass die größten Oktoberfest-Zweigstellen in der kanadischen Stadt Kitchener und in brasilianischen Blumenau eröffnet wurden. Das Bier fließt dort in 600.000 bis 700.000 durstige Kehlen.

Und auch in China gibt es seit längerem „Beer Festivals“ nach deutschem Vorbild. Die ehemalige deutsche Kolonialstadt Qingdao veranstaltet jedes Jahr mit großem Erfolg eine chinesische Variante des Oktoberfestes. Von dort stammt auch das nach deutschem Reinheitsgebot gebraute Tsingtao-Bier. Die Qingdaoer sind außerdem dafür bekannt ist, dass sie Bier auch gern in Plastiktüten verkaufen und damit durch die Straßen laufen, was einen unbedarften Betrachter zuerst an Urinproben denken lässt.

Investoren haben sich nun jedoch zum Ziel gesetzt, dass China und seine Hauptstadt auch in Sachen Oktoberfest nicht länger in der Regionalliga spielt, und gleich von Null auf Hundert in die Weltspitze einsteigt. Die längsten Brücken und die schnellsten Computer der Welt sind chinesisch. Und wenn China heute das Land mit dem höchsten Bierkonsum auf der Welt ist, da ist es doch nur selbstverständlich, auf diesem Wachstumsmarkt nicht länger zu kleckern, sondern gleich zu klotzen – und zwar richtig. 84.000 Sitzplätze hat die Anlage, die vor den Toren Beijings in der Nähe des Flughafens hochgezogen wurde, in der die Gäste über einen Monat lang bewirtet werden sollen. Die Chinesen wollten natürlich wie immer vom Weltmeister lernen. Daher haben sie für das Vorhaben einen bayerischer Wiesn-Gastwirt engagiert, der mit seiner geballlten Oazapf-Kompetenz beratend zur Seite stand.

Am letzten Wochenende habe ich mir zusammen mit Freunden das Spektakel einmal aus der Nähe angesehen. Die Anlage ist etwas ist schwer zu finden und liegt auf dem Gelände eines leicht verstaubten Vergnügungsparks, in dem man so lustigen Sachen wie Indoor-Krebs-Angeln machen kann.
Dort stehen also die acht wuchtigen Hallen, die teilweise den Charme eines Ersatzteillagers versprühen. Das war allerdings zu erwarten, denn in der Sprache der Chinesen gibt es kein entsprechendes Wort für „Gemütlichkeit“. Warum auch? In ganz China gibt es keine Gemütlichkeit. Was sollte man dann auch mit so einem Wort anfangen? Und Lagerhallenatmosphäre plus Neonlicht sind in China noch lange kein Hindernis für eine Riesengaudi.

Die Hallen, ungemütlich oder nicht, waren aber an jenem Samstagabend zum großen Teil erschreckend leer. In der Mitte der Gebäude, die an die Münchner Festzelte erinnern sollen, spielen chinesische Bands, die durch das in China übliche ohrenschmerz-garantierende Soundsystem und die nackten Betonfußböden eine Geräuschkulisse erzeugen, bei dem sich China-Greenhorns augenblicklich die Fußnägel aufrollen. Aber auch darüber will ich mich nicht beschweren, denn ohne diese Form der Lärmbelästigung wäre das Projekt „Rekord-Oktoberfest“ wahrscheinlich von vornherein zum Scheitern verurteilt. Der normale Chinese erwartet schließlich bei jeder feierlichen Gelegenheit eine möglichst krächzende Beschallung – egal ob Hochzeit, Firmenjubiläum oder Straßenfest. Erst wenn für Deutsche die schrillen Töne aus den blechernden Lautsprechern die Grenze zur Körperverletzung überschritten haben, fühlen sich Chinesen so richtig wohl. Es muss halt ordentlich krachen.

In den Hallen bedienen neben einigen angeworbenen jungen Deutschen meist chinesische Kellnerinnen, die in den Trachtenkostümen ebenso lustig aussehen wie ihre männlichen Kollegen, deren Lederhosen aus irgendwelchen Gründen teils mit militärischen Tarnfarbenmustern bedruckt sind. Vergnügt hüpfen ganze Horden von ihnen über das Gelände. Sie scheinen die Veranstaltung für einen riesigen Spaß zu halten – sie haben ja auch jeden Grund dazu. Denn zumindest an diesem Tag gibt es keinen Moment, weder in den Zelten, noch an den Kirmesbuden, noch bei den Fahrgeschäften, in dem auch nur annähernd so viel Gäste zu sehen sind wie kostümierte Angestellte. Keine Spur von Akkordbedienung – wofür die deutschen Zenzis weltberühmt sind.

Das Essen schmeckt recht authentisch, besonders wenn man es mit den sonderlichen aufgespießten Fleischerzeugnissen vergleicht, die beim „Goldenen Hans“ als deutsche Spezialitäten angepriesen werden. Die Haxen, Brathändl mit Sauerkraut und Brezn zum Einheitspreis von 50 Yuan kann man entweder mit Stäbchen essen oder aber die mitgelieferten hygienischen Plastikhandschuhen zur Hilfe nehmen. Auch das Bier enthält scheinbar etwas mehr Hopfen als das durchschnittliche chinesische Erzeugnis und ist dadurch deutlich weniger geschmacksneutral.

Insgesamt habe ich mich auf dem Beijinger Oktoberfest sehr amüsiert. Ich hoffe, dass es keine einmalige Veranstaltung war und die große Gaudi auch im nächsten Jahr stattfinden wird. Ich frage mich nur, ob der Veranstalter und seine deutschen Berater an einer Form von Größenwahn leiden, oder aber eine Zukunftsvision haben, die einfach noch etwas Zeit braucht, um in den Köpfen und Herzen der Chinesen einen Platz zu finden. Ganz nach dem Motto: „Die Idee war gut, doch die Welt noch nicht bereit.“

Wenn man jedoch eine Anlage baut, bei der im Laufe des Monats etwa drei Millionen Gäste bewirtet werden sollen, ist das schon ein sehr gewagtes Projekt. Eine Maß Bier kostet auf dem Beijinger

Bierfest mit 90 Yuan (9,67 Euro) rund einen Euro mehr als beim Münchner Original (ca. 8,60 Euro). Ich bin nicht ganz sicher, ob in der Stadt derzeit überhaupt so viele Menschen leben, die zumindest theoretisch bereit wären, diesen Preis für ein Bier zu bezahlen. Ich kenne kaum welche. Nur zum Vergleich: Eine Flasche Tsingtao (0,6 Liter) kostet in kleineren Restaurants etwa 3 Yuan.

Daher mein Tipp für das nächste Jahr: Die Preise halbieren und insgesamt deutlich tiefer stapeln. Man könnte zum Beispiel einige der Hallen einfach wieder abreißen oder zum Indoor-Krebsangeln verwenden. Dann sähe es vielleicht nicht mehr so sehr nach „Größenwahnsinniger Investor greift vergeblich nach dem Oktoberfestmonopol in China“ aus. Aber wie gesagt, ich hab mich köstlich amüsiert und ich bin gespannt wie es weitergeht mit dem „größten Oktoberfest der Welt“.

Und das liegt nicht daran, dass ich unbedingt dabei sein möchte, wenn die Bayern dieses Auswärtsspiel verlieren sollten – bestimmt nicht. Und wenn sie dann doch scheitern, dann springe ich gerne ein. Ich sehe schon die Schlagzeilen, die rund um den Globus gehen: Der größte Fischmarkt der Welt steht jetzt in Beijing.